9 Monate im Ausland und 3 Wochen wieder daheim
8/23/2022
- So ist es für mich, nach Hause zu kommen -
Heute vor 3 Wochen war ich noch in Mexiko, vermutlich gerade auf dem Weg nach Cancun zum Flughafen. Meine Gedanken damals? – Ein Durcheinander. Ich habe über alles nachgedacht, was ich im Ausland erlebt habe. Und was mich wohl erwarten würde, wenn ich wieder nach Hause komme – nach 9 Monaten.
So, und jetzt bin ich fast 3 Wochen wieder hier und wage es, das erste vorläufige Fazit über meine Rückkehr zu ziehen. Ich weiß gar nicht ob ich „schon“ oder „erst“ drei Wochen sagen soll, aber das ist auch eigentlich egal.
Ich habe die schönsten 3 Wochen erleben dürfen, die man sich nur vorstellen kann. Ich habe so viele Freund:innen wieder gesehen, mit ihnen wundervolle Dinge erlebt und schon fast vergessen, dass wir uns über ein Dreiviertel Jahr nicht gesehen haben. Denn, und dafür bin ich unendlich dankbar, es fühlt sich an wie immer, wenn ich sie sehe. Das ist alles andere als selbstverständlich und ein unbeschreiblich schönes Gefühl. Ich habe die letzten Wochen unheimlich viel Zeit mit den Menschen verbringen können, die ich über die letzten Monate so sehr vermisst hatte, bin gerade noch eine Woche mit meiner Familie im Urlaub und versuche gleichzeitig zu realisieren, dass diese 9 Monate kein Traum, sondern die Realität waren.
So vieles wirkt so wie immer, ich kenne ja alles. Ich kenne den Ort, in dem ich aufgewachsen bin. Ich kenne unsere Nachbarn. Brauche kein Navi um zu Oma und Opa zu fahren. Brauche genau die gleichen 10 Minuten zu meinen Freundinnen auf der anderen Seite des Orts wie vor 9 Monaten auch – und so könnte ich ewig weitermachen. Doch dann sehe ich meine Geschwister, die jetzt gefühlt drei Köpfe größer sind als ich oder Häuser, die es vorher noch nicht gab. Und da realisiere ich ganz deutlich, dass ich das letzte dreiviertel Jahr nicht zuhause war.
Heute vor drei Wochen: Mein Rückflug von Cancun nach Frankfurt
Eine schönere Begrüßung hätte ich mir nicht ausmalen können.
Schließlich gibt es auch noch die kleineren Momente, die ich im Alltag ab und zu erlebe. Momente, die für andere nicht offensichtlich oder gar erkennbar sind. Beispielsweise gab es einen solchen Moment vor 15 Minuten, als ich gerade dabei war, den zweiten Satz dieses Beitrags zu schreiben:
In diesem Augenblick ertönt die Titelmelodie von „Lilo und Stich“ über die Lautsprecher des Cafés, in dem ich gerade sitze. Ich erkenne den Song schon am ersten Ton. Zu diesem Song haben wir in Hawai’i etwas Hula tanzen gelernt. Ich kann gar nichts dagegen tun, aber ich habe plötzlich Tränen in den Augen. Ich schaue auf mein T-Shirt, das sich auf meinem Tablet-Bildschirm spiegelt und sehe die große ALOHA – Aufschrift. Und es überkommt mich einfach ein Gefühl der Dankbarkeit, dass ich diese besondere Zeit auf Hawai’i erleben durfte. Alleine daran zurückzudenken macht mich so glücklich, dass es wieder mehr als real wirkt. Ich spüre ganz deutlich, dass ich tatsächlich 4,5 Monate in Honolulu gelebt habe – und es immer ein Zuhause für mich sein wird. Im Schnelldurchlauf spielen sich alle Erinnerungen an diese Zeit in meinem Kopf ab und ich kann nicht anders, als einfach zu grinsen.
Es sind kleine, aber besondere Momente wie diese, in denen ich spüre, wie stark meine Verbindung zu meiner Zeit im Ausland ist und wie viel sie für mich bedeutet – und dass das auch so bleibt, auch, wenn ich mittlerweile wieder in Europa bin.
Wie ich schon gesagt habe, die letzten Wochen waren wunderschön. Meine Freund:innen und meine Familie machen es mir so einfach, mich hier wieder einzuleben. Doch auch wenn ich an sich die schönste Zeit aktuell erlebe – es ist nicht ganz so einfach, wie es vielleicht klingt.
Ich weiß nicht, wie nachvollziehbar das für Außenstehende ist, aber mein Leben hat sich gerade um 360 Grad gedreht. Auch wenn ich eigentlich alles kenne, ist alles anders. Ich laufe nicht mal schnell zum Strand, um den Sonnenuntergang zu sehen. Ich mache keinen spontanen Wochenend-Trip in den Urwald. Ich kann nicht einfach meinen Backpack packen und mich in den Bus setzen, um nach Panama zu fahren. Ja, hier gibt es daür andere Dinge, die man unternehmen kann. Und da ist nicht eine Sache besser oder schlechter. Aber es ist eben anders. Und ja, für mich ist das eine sehr große Umstellung.
Eine Woche Zeit mit der Familie in Italien, am Lago di Como.
Dementsprechend oft werde ich gefragt: „Und, schon wieder gut eingelebt?“
Ich bin ehrlich, in ein paar wenigen Worten darauf zu antworten ist für mich unmöglich. Zu viel schwirrt bezüglich dieser Frage in meinem Kopf herum. Ein einfaches „Ja“ als Antwort tut es auf jeden Fall nicht.
Ich würde sagen, ich bin gerade dabei, mich einzuleben. Ich fühle mich ein bisschen, als wäre ich irgendwo zwischendrin. Zwischen Amerika und Europa. Und so ist es ja auch tatsächlich. Ich befinde mich gerade in der (Übergangs-) Zeit zwischen Auslandsjahr und Studium. Und ja, ich weiß, dass ich anfangen werde zu studieren. Doch wie mein Leben dann genau aussehen wird, das kann ich ja noch nicht wissen. Und wie soll ich mich in ein Leben einleben, dass es so noch gar nicht gibt?
An meinen ersten Tagen in Deutschland habe ich zu hohe Erwartungen an mich selbst gestellt. Ich dachte, ich müsste ab der ersten Sekunde mit allem klarkommen, alles geregelt kriegen, jede Herausforderung bewältigen können, vollkommen glücklich sein – schließlich war ich ja so froh, alle Leute wiederzusehen. Doch das war eine absolut utopische Vorstellung meiner Rückkehr.
So einfach funktioniert es nicht. Ja, ich habe mich auf so unglaublich viele Dinge gefreut. Zeit mit der Familie verbringen, mit Freund:innen auf Weinfeste zu gehen, in der Westkurve wieder selbst mitzujubeln, das Angebot in deutschen Supermärkten zu genießen, eine WG in Mannheim zu suchen, und und und.
Zurück in der Pfalz.
Doch es gibt auch unheimlich viel, was ich eben hinter mir lassen musste. Das Meer direkt vor der Haustüre zu haben, die schönsten Sonnenuntergänge zu sehen, die Leichtigkeit von Aloha und Pura Vida auf der Straße zu spüren – für 9 Monate bestand mein Leben fast nur aus Reiseplanung. Meine Erwartung, ab dem ersten Moment mit beiden Beinen wieder fest im Leben stehen zu müssen – das war alles andere als realistisch. Doch für diese Erkenntnis habe ich etwas Zeit gebraucht. Und die brauche ich immer noch. Denn mit jedem Tag finde ich noch etwas mehr darüber heraus, was mir gut tut und wie ich in meinem neuen alten Leben in Deutschland wieder besser Fuß fassen kann.
Ein Beispiel: Heute, also drei Wochen nach meiner Ankunft, ist der erste Tag, an dem ich Gedanken bezüglich meines Auslandsjahres niederschreiben kann. Ich habe noch einige Themen oder Trips, die ich gerne verschriftlichen würde, aber ich konnte es noch nicht. Es ging einfach nicht. Ich habe Abstand gebraucht – und den brauche ich immer noch. Wenn ich jetzt einen Reisebericht nach dem anderen schreiben würde, dann würde dies mein Einleben in Deutschland aufhalten. Ich würde mich zu sehr zurückdenken, zurücksehnen, und mich viel zu sehr in der Vergangenheit aufhalten. Das Kapitel Ausland ist vorerst vorbei und das ist auch okay so – aber um das alles verarbeiten und reflektieren zu können ist es für mich der richtige Weg, zunächst etwas Abstand zu gewinnen.
Ich möchte unbedingt ein Fotoalbum dieser Zeit erstellen, doch wenn ich mich jetzt jeden Tag durch tausende Erinnerungen der letzten Monate wühlen würde, dann würde ich nicht voll und ganz hier sein. Ich würde mich in diesen Fotos verlieren und vergessen, wie schön es hier ist. Auf was ich mich hier freue. Was mich hier glücklich macht. Mit solchen Situationen geht jeder unterschiedlich um – und für mich ist eben Distanz der Weg. Ich brauche erst genügend Abstand, um dann auf eine unvergessliche Zeit voller Freude zurückblicken zu können – ohne große Wehmut.
Und in dieser Phase befinde ich mich gerade. Ich brauche noch Zeit. Ich brauche noch Abstand. So glückliche Momente ich gerade erleben darf, so wehmütig bin ich manchmal. Diese Momente der Wehmut werden immer weniger, aber sie sind eben noch da. Und das ist auch okay so. Das ist okay für mich. Es ist normal.
Würde ich nicht ein kleines bisschen an dieser Zeit hängen, dann wäre sie nicht so besonders gewesen. Aber ich arbeite daran, die Perpektive zu wechseln.
Ich möchte „Ich trauere dieser Zeit hinterher und sie gehört für immer der Vergangenheit an“ ablegen und daraus „Ich trage alles was ich erlebt habe in mir und diese Zeit wird immer ein Teil von mir bleiben, weil sie mich so intensiv geprägt hat.“ machen. Dies zu verinnerlichen ist nicht immer ganz einfach, aber ich bin dabei. Und ich lerne jeden Tag dazu.
So wie ich Zeit gebraucht habe, um in den ersten Wochen auf Hawai‘i anzukommen, so brauche ich auch jetzt Zeit, um mich hier einzuleben. Es waren eben nicht nur 4 Wochen Urlaub, sondern es waren 9 Monate Leben.
Ich lerne mich jetzt gerade, in dieser speziellen Zeit, noch viel besser kennen. So wie ich erstmal Distanz zum Auslandsjahr brauche, so weiß ich, dass mir andere Menschen gut tun. Wenn ich unter Freund:innen oder Familie bin, dann geht es mir gut. Es mag auch mit Ablenkung zu tun haben, aber der Grund spielt in erster Linie nicht die wichtigste Rolle. In diesen Momenten fühle ich mich wohl, da wirkt alles eben wie immer. Deshalb war es für mich auch so wichtig, während der letzten 3 Wochen beschäftigt zu sein und viel zu unternehmen – und es auch weiterhin zu tun. Noch fühle ich mich, als wäre ich irgendwie in einer Zwischensphäre, nicht hier und nicht dort. Und da ist es ganz normal, dass gerade wenn ich alleine bin, ab und zu Fragen auftauchen wie „Was mache ich hier eigentlich?“, „Werde ich jetzt wirklich studieren?“, „Wieso sind die 9 Monate schon vorbei?“.
Es gibt noch viele Fragen, die in meinem Kopf herumschwirren und auf die ich noch keine Antworten gefunden habe. Und ich weiß nicht – das klingt vielleicht komisch – aber für mich fühlt sich das richtig an. Es fühlt sich richtig an, dass ich mich hier manchmal noch verloren fühle. Dass ich noch nicht ganz angekommen bin. Ich kann es nicht in Worte fassen, aber das Gefühl, wenn ich am abends am Meer den Sonnenuntergang geschaut habe – das ist immer noch in mir drin; und das sagt und zeigt mir, dass alles gut werden wird. Dass alles so kommt, wie es sein soll. Mit der Zeit.
Es tut so gut, diese Gedanken in Worte zu fassen. Die ganzen letzten Wochen ging es nicht, doch jetzt habe ich mich danach gefühlt. Aber ich bin ehrlich, es ist nicht ganz einfach, mich zu öffnen – auch vor mir selbst. Wenn mich jemand in letzter Zeit gefragt hat wie es mir geht, dann habe ich nicht gesagt, dass es ein Auf und Ab ist. Doch ich muss niemandem etwas vormachen, ich darf ehrlich sein. Denn ich kann mir all die Zeit lassen, die ich brauche, um hier voll und ganz anzukommen. Ich freue mich darauf, mir hier ein neues Leben aufzubauen. Ich kann alle gesammelten Erfahrungen der letzten Monate in dieses Leben miteinbeziehen – muss nichts hinter mir lassen. Und nein, ich werde nicht krampfhaft an dieser Zeit festhalten, sondern sie in die Gegenwart mitnehmen. Und diese Erfahrungen lassen mich schon jetzt mit dieser für mich überwältigenden Situation, nach 9 Monaten nach Hause zu kommen, viel besser umgehen.
Eine schönere Erinnerung als dieses Dreiviertel Jahr könnte ich mir nicht erträumen – und ich weiß, dass sie mir dabei helfen wird, zur genau richtigen Zeit in meinem neuen alten Leben anzukommen.
Pfälzer Mädel Annerschtwo
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