Freundschaften während des Auslandsjahres

4/29/2022

Waikiki Beach Sonnenuntergang Annerschwto
Waikiki Beach Sonnenuntergang Annerschwto

Bevor ich vor genau 6 Monaten in den Flieger gestiegen bin, war eine der härtesten Aufgaben, mich von meinen besten Freundinnen zu verabschieden. Ich war mir immer sicher, dass die „echten“ und engen Freundschaften die räumliche Distanz überstehen werden und ich mir darüber keine großen Gedanken machen muss, jedoch hat mir im Vorfeld natürlich trotzdem jegliche Vorstellung davon gefehlt, wie sich diese Freundschaften in der kommenden Zeit entwickeln werden. Und auch, wenn ich an sich keine ernsthaften Sorgen hatte, dass man sich aus den Augen verlieren könnte, hatte ich ein ganz kleines bisschen Angst.

Angst nur aus dem Grund, weil mir diese Menschen eben so besonders wichtig sind. Doch dieser kleine Funken Angst, der ist zum Glück ganz schnell verflogen. Ich bin für nichts dankbarer als dafür, dass ich in dieser globlisierten Welt mit so großem technologischen Fortschritt lebe, sodass ich durch soziale Medien und Telefonieren in jedem Moment mit Personen in Deutschland kommunizieren könnte. Es funktioniert auf den unterschiedlichsten Wegen: Natürlich führe ich unter anderem meinen Instagram-Account und diesen Blog hier, um euch alle so gut es geht auf meiner Reise mitzunehmen. Doch dann gibt es auch den wirklich persönlichen Austausch per Snapchat, WhatsApp und ganz wichtig: FaceTime.

Sonnenuntergang Tamarindo Costa Rica Annerschtwo
Sonnenuntergang Tamarindo Costa Rica Annerschtwo

Es gibt unzählige Möglichkeiten, um den Kontakt zu halten, dass da fast nichts schiefgehen kann. Okay, Stop – das stimmt nicht. Freundschaften funktionieren nicht von alleine, sie müssen gepflegt werden. Zu einer Freundschaft gehören immer zwei Personen, und von jeder dieser beiden Personen muss auch Zeit in die Freundschaft investiert werden, um sie aufrecht zu erhalten. Und ich bin ehrlich: Es gibt Einfacheres als 11 Stunden Zeitverschiebung auf Hawai’i. Doch ich sage auch, dass man es auf alle Fälle schafft, wenn es beide Personen wollen.

Ja, dann stehe ich eben mal eine Stunde früher auf, um vor meinem Unterricht noch telefonieren zu können. Ja, dann plane ich gerne mal einen Abend ein, der für einen FaceTime Call mit einer Freundin reserviert ist. Sobald man den Dreh mit der Zeiverschiebung raus hat, ist es gar nicht mehr so schwer. Und mit jeder Woche pendelt sich mehr und mehr eine Routine ein. Irgendwann weiß ich, wen ich um welche Uhrzeit ans Telefon kriege und wann ich es bei einer Person erst gar nicht versuchen brauche.

Auch wenn ich wusste, dass es niemals dazu kommen würde, war vor meinem Auslandsjahr meine größte Angst, dass ich nach Deutschland zurückkommen werde und ich mit meinen besten Freunden nicht mehr auf der gleichen Wellenlänge sein könnte. Dass ich zurückkomme und merke, dass man nicht mehr wirklich zusammen passt. Dass man in den letzten 9 Monaten so unterschiedliche und prägende Dinge erlebt hat, dass man plötzlich zu verschieden ist, um so eine enge Freundschaft führen zu können. Und wie denke ich jetzt darüber?

Ich bin noch nicht ein mal zurück und kann schon sagen: Dies ist definitiv nicht der Fall. Natürlich macht jeder seine eigenen Erfahrungen. Selbstverständlich sind diese 9 Monate nicht miteinander zu vergleichen. Und ich meine nicht nur den unterschiedlichen Ort auf der Erde – Nein, es ist das gesamte Umfeld. Freunde sind von daheim ausgezogen, sie studieren in einer anderen Stadt oder machen ein FSJ. Über den üblichen und vor allem ähnlichen Schulalltag, wie wir ihn bis vor einem Jahr noch hatten, ist bei niemanden mehr zu reden. Jeder hat ein neues Leben, einen neuen Alltag, neue Leute. Allerdings ist das auch gerade das Schöne: Jeder macht seine eigenen Erfahrungen, jeder entwickelt sich selbst weiter. Jedoch heißt das nicht, dass in dieses neue Leben alte Freunde nicht mehr hineinpassen. Im Gegenteil, wie spannend und wunderschön ist es denn, an dieser Weiterentwicklung und persönlichen Reise mitgenommen zu werden? Auch, wenn sich so vieles verändert, bleibt man ein Teil des Lebens der anderen Person. Und das ist ein unbeschreiblich schönes Gefühl.

Playa Mina Costa Rica Camping Annerschtwo
Playa Mina Costa Rica Camping Annerschtwo

Und daran wächst eine Freundschaft auch: Jeder bringt seine neuen Erfahrungen mit ein, und davon lernt auch die andere Person. Unterschiedliche Erlebnisse können Freundschaften so viel weiter bringen – das war mir vorher nie bewusst. Es ergeben sich so viele interessante Möglichkeiten sich auszutauschen, sodass auch die Freundschaft abwechslungsreich bleibt. Hätte jeder exakt das gleiche Leben, wären die Gesprächsthemen nicht irgendwann langweilig? Dieser Austausch funktioniert aber eben auch nur, wenn man seine Freunde an besonderen Erfahrungen teilhaben lässt.

Ich bin mir sehr sicher, dass der zuvor beschriebene Fall, nämlich dass die unterschiedlichen Leben nicht mehr zueinander passen, eintreten würde, wenn man nur selten kommuniziert und plötzlich Erlebnisse von 9 Monaten gegenseitig aufarbeiten müsste. Ich glaube nicht, dass das gutgehen würde. Doch ich sehe selbst: Hält man sich in regelmäßigen Abständen auf dem Laufenden und lässt seine Freunde am eigenen Leben teilhaben, dann gibt es nichts, was einer engen Freundschaft im Weg stehen könnte, auch, wenn man so lange räumlich getrennt ist.

Ich liebe meine besten Freunde, und dementsprechend möchte ich auch mit ihnen teilen, was ich erlebe.

Mir ist es wichtig, dass sie niemals das Gefühl haben, dass ich sie vergessen würde, nur weil ich gerade so weit entfernt lebe. Dass ich zu beschäftigt wäre und zu viel Neues erleben könnte, um sie anzurufen. Dass ich sie nicht mehr brauchen könnte, da ich hier so viele neue Menschen treffe und von neuen Eindrücken überrumpelt werde. Denn genau das Gegenteil ist der Fall: Meine Zeit hier zeigt mir umso mehr, wie viel mir meine „alten“ Freundschaften bedeuten und dass es absolut nicht selbstverständlich ist, solche großartigen Menschen in meinem Leben zu haben.

Doch jeden Tag treten auch neue Leute in mein Leben. Es ist unmöglich zu überschlagen, wie viele hunderte Personen ich in den letzten 6 Monaten kennengelernt habe. Jeden Tag trifft man jemand Neues, und dann gibt es zwei mögliche „Wege“: Entweder, es bleibt wie in den meisten Fällen beim Smalltalk, oder aber man freundet sich an, unternimmt gemeinsame Ausflüge und verbingt auch außerhalb der Schule Zeit zusammen. Und diese Zeit ist oft super schön. Ich finde es so interessant, die Geschichten und Erfahrungen von den verschiedensten Leuten erzählt zu bekommen, es wird definitiv nie langweilig. Doch wenn ich ehrlich bin, weiß ich auch, dass die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine richtige, feste Freundschaft daraus entwickelt, sehr gering ist. Man verbringt hier schöne Wochen oder Monate, erlebt Vieles und hat eine Menge Spaß – doch letztendlich bleibt es bei relativ oberflächlichen Themen. Eine besondere Person, mit der das komplette Gegenteil der Fall war und sich eine echte und enge Freunschaft in so kurzer Zeit entwickeln konnte, hat den passenden Begriff „Zweckfreundschaft“ in den Raum geworfen. Und ich finde, das trifft es perfekt. Vielleicht klingt es etwas hart, doch es entspricht der Wahrheit. Mit so vielen Leuten genieße ich es hier Zeit zu verbringen. Doch gleichzeitig weiß ich auch, dass es eben zeitlich begrenzte, lockere Freundschaften sind, bei denen danach jeder wieder seinen eigenen Weg geht.

Costa Rica Playa Mina Annerschtwo
Costa Rica Playa Mina Annerschtwo

Auch wenn meine Freunde in Deutschland sind, habe ich sie alle in Gedanken auf meiner Reise dabei

Bei jeder neuen Person, die ich während meiner Zeit im Ausland kennenlerne, weiß ich meine engen Freundschaften in Deutschland umso mehr zu schätzen. Obwohl ich wirklich Massen an Menschen in so kurzer Zeit treffe, macht es verhältnismäßig extrem selten „Klick“. Es gibt einen riesigen Unterschied beim Kennenlernen: Versteht man sich mit einer Person einfach gut und kann sich nett unterhalten, oder driftet man in die tiefsten Gesprächsthemen ab, hat das Gefühl, sich schon ein Leben lang zu kennen und lernt in jedem Moment unfassbar viel von dieser Person.

Ich kann die Menschen, die ich im letzten halben Jahr kennengelernt habe und bei denen ich fest weiß, dass ich sie wiedersehen werde, fast an einer Hand abzählen – Ziemlich wenig im Vergleich zu der riesigen Zahl an Menschen, mit denen ich Unternehmungen mache, geschweige denn mich unterhalte. Und dadurch realisiere ich tagtäglich, was ich für ein Glück habe, solch grandiosen Freunde in Deutschland zu haben, die ich jedem nur wünschen kann.

Ich realisiere, wie selten ich tatsächlich Menschen treffe, mit denen ich eine wahnsinnig enge Bindung aufbauen könnte. Wobei, ganz so leicht ist es nicht gesagt. Oft überschneiden sich die Aufenthalte mit anderen Schüler:innen nur wenige Wochen, und da ist es oftmals unmöglich zu beurteilen, ob eine feste Freundschaft daraus hätte entstehen können. Ich habe im letzten halben Jahr gemerkt, dass es absolut nicht selbstverständlich ist, diese besonderen Menschen in meinem Leben zu haben, auf die ich mich immer verlassen kann – egal, ob das Freunde aus Deutschland, oder Menschen, die ich auf meiner Reise kennenlernen durfte, sind. Die immer für mich da sind. Denen ich die wildesten und witzigsten Geschichten erzählen kann. Bei denen ich mich ausheulen kann, ganz egal, ob ich in Deutschland oder am anderen Ende der Welt bin. Bei denen ich mich einfach wohlfühle. Die ich immer anrufen kann und weiß, dass sie ein offenes Ohr für mich haben werden, besonders, wenn es mal schwierige Situationen zu meistern gilt.

Und genauso ist mir Nichts wichtiger, als dass auch meine Freunde wissen, dass sie sich immer bei mir melden können - auch, wenn ich gerade unzählige Zeitzonen entfernt lebe. Ich möchte, dass ich trotz der Entfernung für meine besten Freunde da sein und ihnen helfen kann. Doch das funktioniert nur, wenn man den Kontakt über die lange Zeit gut pflegt. Denn ich kann jemanden nur unterstützen oder einen Rat geben, wenn ich weiß, was im Leben der Anderen alles passiert ist. Der Kontakt muss so eng sein, dass die letzten Monate nicht stundenlang aufgearbeitet werden müssen, sodass die jeweils Person ansatzweise verstehen und nachvollziehen kann, wieso es jemandem schlecht geht. Und deshalb ist es mir mehr als wichtig, über das Bescheid zu wissen, was im Leben der Menschen passiert, die mir so wichtig sind.

Hierbei meine ich natürlich nicht, dass meine deutschen Freundschaften meinen Alltag im Ausland dominieren. Das sollte nie der Fall sein, schließlich spielt sich mein Leben gerade nicht in Deutschland, sondern auf anderen Kontinenten ab. Und hier möchte ich auch zu 100% anwesend sein. Ich möchte mich auf meine Erlebnisse und Erfahrungen hier konzentrieren können, möchte nicht mit dem Kopf die ganze Zeit an anderen Orten der Erde sein. Ich möchte darauf achten, wie ich mich hier weiterentwickele – alleine. Das ist mir persönlich unglaublich wichtig. Man muss die richtige Mitte finden, und das habe ich geschafft. Es bietet sich so gut an, am ein oder anderen Morgen mit Freunden zu telefonieren und anschließend hier in Costa Rica in meinen Tag zu starten. Ich bin mehr als froh, einen solch guten Ausgleich für mich gefunden zu haben: Ich habe einen sehr guten und regelmäßigen Kontakt nach Deutschland, doch trotzdem befinde ich mit meinem ganzem Herzen hier.

Mauna Kea Hawai'i Big Island Sonnenuntergang Annerschtwo
Mauna Kea Hawai'i Big Island Sonnenuntergang Annerschtwo

Manchmal wünschte ich, meine Freunde könnten einzelne Momente mit eigenen Augen sehen und miterleben

Ich habe zuvor geschrieben, dass es nicht oft passiert, dass sich aus der gemeinsamen Zeit im Ausland feste Freundschaften entwickeln. Auch, wenn dies selten geschieht – alle paar Monate treffe ich Personen, bei denen ich mir sicher bin, dass sie nicht nur ein Teil meines Auslandsaufenthaltes sind, sondern auch in Zukunft Teil meines Lebens sein werden. Es gibt diese seltenen Begegnungen, wo ich einfach weiß, dass dies über die so schön betitelten „Zweckfreundschaften“ hinausgeht. Und diese Menschen bereichern meine Zeit hier so viel mehr, als dass ich es je in Worte fassen könnte.

Ich habe durch diese Personen gelernt, dass man sich nicht jahrelang kennen muss, um sich vertrauen zu können. Dass manche Begegnungen vielleicht einfach genau so sein sollten. Dass man in so kurzer Zeit so eng zusammenwachsen kann, wie es manche über mehrere Jahre tun. Und bei all den netten lockeren Freunden, die ich über die Zeit hier so kennenlerne, merke ich trotzdem, wie wichtig es ist, die ein oder andere Bezugsperson vor Ort um sich zu haben, mit der es irgendwie anders ist. Die man mal umarmen kann. Der man sich anvertrauen kann. Mit der man eben eine echte Freundschaft aufbaut. Ich bin unendlich dankbar für diese Menschen, die meine Zeit im Ausland so besonders gemacht haben und immer noch machen, die für mich da waren, als mal nicht alles perfekt war, die mit mir über die persönlichsten und ernstesten Themen gequatscht haben und mit denen ich mich im nächsten Moment über die dümmsten und abstrusesten Dinge totgelachen konnte.

Ich habe in den letzten 6 Monaten extrem viel über Freunschaften gelernt, doch am meisten habe ich realisiert, wie wichtig es ist, Menschen in seinem Leben zu haben, die einfach immer für einen da sind. Ich habe realisiert, wie unterschiedlich Freundschaften sein können und wie jede Freundschaft in sich besonders ist. Ich habe festgestellt, dass räumliche Distanz nicht gleichzeitig heißt, dass auch die Freundschaft distanzierter wird. Im Gegenteil: Ich durfte lernen, dass Distanz Freundschaften noch viel stärker und intensiver werden lassen kann.

Ich bin mehr als dankbar für all die einzigartigen Menschen in Deutschland, die ich zwar so lange nicht gesehen habe, aber die immer für mich da sind.

Ich bin mehr als dankbar für all die besonderen Personen, die ich in den letzten Monaten kennenlernen durfte und die bald zu meinem Leben in Deutschland gehören werden.

Ich hoffe, die ein oder andere Person hat sich angesprochen gefühlt und weiß, dass sie gemeint ist.

Ich habe euch unglaublich doll lieb und kann gar nicht abwarten, bis ich euch in ein paar Monaten wieder in die Arme schließen kann.

Danke <3.