Gedanken nach 6 Wochen Hawai'i

12/17/2021

Sechs Wochen. Sechs ganze Wochen bin ich mittlerweile auf Hawai’i und die Zeit vergeht wie im Flug. Irgendwie fühle ich mich immer noch so, als wäre ich letzte Woche erst gelandet. Doch wenn ich dann durch die Bilder auf meinem Handy scrolle, realisiere ich, dass ich in den letzten Wochen unheimlich viel erlebt habe. Von Schnorcheln mit Haien über aufregende Wanderungen bis zu den schönsten Sonnenuntergängen – es war alles dabei. Und doch fühlt es sich an, als würde jede neue Woche noch schneller als die vorherige vorbeigehen.

Hawai'i O'ahu Waikiki Beach Strand Sonnenuntergang Annerschtwo
Hawai'i O'ahu Waikiki Beach Strand Sonnenuntergang Annerschtwo

Eigentlich ist das ja ein gutes Zeichen: Zeit vergeht nur dann schnell, wenn man glücklich ist. Wenn man die Zeit gerne anhalten würde. Wenn man nicht möchte, dass ein Moment jemals endet.

Umso mehr schmerzt es, wenn ich mir vorstelle, wie schnell auch die nächsten Monate vergehen werden.

Ich bin nach meinem holprigen Start endlich angekommen und genieße jede Sekunde hier. Jeden Tag erlebe ich neue Dinge und die Insel fasziniert mich Woche für Woche noch ein Stückchen mehr. Doch trotzdem wirkt alles so realitätsfern. Ich realisiere immer noch nicht, dass das hier wirklich mein Leben ist. Dass ich tatsächlich am anderen Ende der Welt lebe. Dass ich meine Abende mit Freunden am Strand verbringe. Dass es Dezember ist und ich in kurzen Hosen und Badeschlappen zur Schule laufe, während meine Familie und Freunde zuhause abends in Pullis und Jacken ihren Glühwein in der Kälte trinken.

Tantalus Lookout Aussicht Honolulu Hawai'i Annerschwto
Tantalus Lookout Aussicht Honolulu Hawai'i Annerschwto

Es ist fast wie in einem Traum und so wird es womöglich auch die nächsten Monate bleiben.

Es ist unfassbar, wie viele neue Erfahrungen ich mache, wie viele Eindrücke ich jeden Tag bekomme, wie viele neue Leute ich kennenlernen darf. Jede Begegnung und jede Konversation mit einer neuen, anfangs fremden Person, ist eine Bereicherung für mich und bringt mich persönlich in meinem Denken weiter.

Mein eigener Blickwinkel wird so sehr erweitert, und das nur, in dem ich zuhöre, was andere Menschen bisher in ihrem Leben erlebt haben, wie und wo sie aufgewachsen sind und auch, was sie für ähnliche Erfahrungen wie ich gemacht haben.

Genau das habe ich mir im Vorfeld auch gewünscht: Nicht nur einen neuen Ort der Erde zu entdecken, sondern vor allem die Menschen dort wahrzunehmen und ein besseres Verständnis für das zu erlangen, was um mich herum passiert. Schon jetzt habe ich unglaublich viel dazugelernt und tue es tagtäglich. Mir werden die Augen für Dinge geöffnet, über die ich vorher nicht viel nachgedacht habe.

Ich rede hier nicht von einer bestimmten Sache, sondern von ganz unterschiedlichen Erfahrungen. Ein Beispiel: Die enorme Zahl an Obdachlosen in der Stadt erschüttert mich. Klar, gibt es auch in Deutschland oder Europa Armut, doch vergleichen kann man das nicht. Sobald es dunkel wird, liegen alle paar Meter Menschen am Strand, die keinen festen Wohnsitz haben und dort schlafen. So sind sie nah an öffentlichen Sanitäreinrichtungen wie Duschen und Toiletten. Das sind Facetten von Waikiki, die gerne verschwiegen werden. Hier in Honolulu existiert eine massive Kluft zwischen arm und reich, darauf war ich in diesem Ausmaß nicht vorbereitet.

Honolulu Museum of Art Hawai'i Obdachlosigkeit Annerschtwo
Honolulu Museum of Art Hawai'i Obdachlosigkeit Annerschtwo

Obdachlosigkeit – dieses Problem wird in einem Teil des Honolulu Museum of Art aufgegriffen

Ja, mir war durch Recherchen im Vorfeld bewusst, dass es nicht nur paradiesische Seiten der Stadt gibt und auch der Toursimus kein reiner Segen ist. Jedoch ist es etwas ganz anderes, wenn man solch schlimme Zustände mit den eigenen Augen sieht.

Resorts, Hotels, Hochhäuser und riesige Einkaufsmalls reihen sich nebeneinander, Touristen mit gefüllten Shoppingtaschen laufen durch die Straßen. Doch zwischen den protzigen Limousinen vor dem Moana Surfrider Resort und dem Securitypersonal in den Türen von Dior, Ralph Lauren, Louis Vitton und Rolex, sind die Obdachlosen nicht zu übersehen. Es ist erschreckend zu sehen, welche sozialen Unterschiede hier herrschen. Die Lebensunterhaltungskosten sind so hoch, dass Menschen mit jährlichem Einkommen von umgerechnet 60.000 EUR hier als einkommensschwach gelten. Bei den enorm hohen Boden- und Lebensmittelpreisen ist es letztendlich keine Überraschung, dass die Schere zwischen Armut und Reichtum immer größer wird. Eine Ursache ist, dass viele reiche Amerikaner vom Festland Wohnungen auf Hawai‘i aufkaufen und somit die Preise in die Höhe treiben, obwohl sie noch nicht einmal selbst hier leben. Die konträren Bilder von Waikiki Beach sind schockierend. Tagsüber ein überfüllter Strand voll mit Touristen, die sich sonnen lassen, die Surfbretter unter dem Arm tragen und ihre Ferien genießen. Nachts ist es der Schlafplatz von unzähligen Menschen, die kein Dach über dem Kopf haben.

Honolulu Obdachlosigkeit Museum of Art Annerschtwo
Honolulu Obdachlosigkeit Museum of Art Annerschtwo

Auch wenn dieses Zelt zu einer Ausstellung gehört – so sieht es leider auch in der Realität aus

Ich liebe Hawai‘i und ich bin mehr als dankbar, für mehrere Monate hier leben zu können. Es gibt so viele schöne, beeindruckenden Seiten der Inselgruppe, doch ich finde es genauso wichtig, dass man die Augen vor der Realität nicht verschließt. Meiner Meinung nach gehört es dazu, sich auch mit den unschönen Aspekten und lokalen Problemen auseinanderzusetzen. Das heißt nicht, dass man seine Zeit hier nicht genießen darf, weil es anderen Menschen schlecht geht. Aber es hat durchaus etwas mit Respekt zu tun, sich auch Gedanken über Menschen in anderen Lebenssituationen zu machen und diese nicht einfach zu ignorieren. In solchen Momenten weiß ich viel mehr zu schätzen, wie gut es mir geht und dass dies alles andere als selbstverständlich ist. Ich bin hier ein Gast und sehe mich deshalb auch in der Pflicht, mich mit diesem Ort und dessen Hintergründen zu beschäftigen.

Ob es wie eben beschriebene Erfahrungen im Alltag oder Unternehmungen mit Freunden sind, ich erlebe und lerne so viel, dass ich merke, wie sehr mich diese Zeit auch persönlich wachsen lässt. Und es gibt noch so viel mehr zu sehen und zu entdecken, dass ich mir schon jetzt innerlichen Druck mache, so viel wie möglich unternehmen zu müssen, bevor ich in einigen Monaten wieder abreisen werde. Ich weiß, wie kurz sich die letzten sechs Wochen angefühlt haben, und ich habe Angst davor, dass die nächsten Wochen noch viel schneller verfliegen werden.

Doch jetzt liegt die Kunst darin, sich von der gefühlt rennenden Zeit nicht stressen zu lassen, sondern sich umso mehr die Zeit für sich selbst zu nehmen. Ich möchte nicht in diesen Rausch verfallen, in dem ich alles nur in dem Moment wahrnehme und erlebe, aber im Nachhinein nicht mehr in der Lage wäre, die Erfahrungen ordnen oder sortieren zu können.

Ich vergleiche das mal mit einer Serie: Man hat nach Ewigkeiten endlich eine Serie gefunden, die einen richtig „catched“ und man immer wissen möchte, wie es weiter geht. Deshalb hört man auch nach einer Folge nicht auf zu schauen, sondern startet direkt die Nächste. Das spricht ja für die Serie: Sie ist so gut und spannend, dass man sich nicht mehr von ihr lösen möchte.

Aber: Bei mir ist es so, dass ich von meinen Lieblingsserien kaum mehr Einzelheiten weiß und mich teilweise an ganze Folgen nicht mehr erinnern kann, da ich sie wie in einem Rausch geschaut habe.

Und genau das möchte ich verhindern: Ich will nicht auf diese Zeit zurückblicken und mich an fast nichts mehr erinnern können, auch wenn ich in den Momenten an sich eine wunderschöne Zeit hatte. Für mich ist die Zeit nur dann bereichernd, wenn ich sie auf mein Leben danach, auf meine Zukunft übertragen kann.

Ich will mein Gelerntes nicht hier auf Hawai‘i lassen, sondern es nach Costa Rica und nach Deutschland mitnehmen. Daran muss ich mich immer wieder selbst erinnern: Es ist wichtig, an manchen Stellen das Tempo etwas herauszunehmen, um das Beste aus meiner Zeit hier herauszuholen.

Auch wenn ich das über mich selbst herausgefunden habe, fällt es mir unheimlich schwer, es auch umzusetzen. Die Angst, etwas verpassen zu können, schwingt immer mit. Der Gedanke: „Wann habe ich nochmal die Möglichkeit, genau das zu unternehmen?“, begleitet mich ständig. Und das stimmt ja auch. Ich weiß nicht, wann, beziehungsweise ob ich überhaupt jemals hier zurückkommen werde. Natürlich möchte ich dann jetzt alle Gelegenheiten nutzen, um so viel wie möglich zu sehen. Aber letztendlich muss ich daran arbeiten, mir auch zwischendurch Zeit für mich selbst zu nehmen.

Ich brauche Momente alleine, um meine Erfahrungen und Erlebnisse reflektieren und verarbeiten zu können. So habe ich im Nachhinein viel mehr davon, als wenn ich jeden meiner Tage von morgens bis nachts durchtakte. Ob ich joggen gehe, mich in ein Café setze und lese oder eben an meinem Blog arbeite: All das ist der Ausgleich zu den vielen Impressionen, die tagtäglich auf mich einprasseln. Auch wenn diese super spannend und bereichernd sind, ist es manchmal auch anstrengend. Ich kann nicht 24/7 hundertprozentig aufnahmefähig sein. Mein erster Schritt war, genau zu dieser Erkenntnis zu kommen, doch jetzt ist meine Aufgabe an mich selbst, es auch umzusetzen. Ich versuche, das Aloha- Feeling mehr und mehr zu verinnerlichen und es leben zu lernen, um so innerlich mehr zur Ruhe zu kommen. Ich bin sehr glücklich hier, werde jede weitere Sekunde in den vollsten Zügen genießen und bin unglaublich neugierig, was die nächsten Wochen mit sich bringen werden.

Sonnenuntergang Waikiki Beach Hawai'i Annerschtwo
Sonnenuntergang Waikiki Beach Hawai'i Annerschtwo

So, das sind meine Gedanken nach den ersten sechs Wochen. Sie wirken vielleicht wie ein großes Durcheinander, und ich kann nur sagen: Das sind sie auch. Aber es ist ein gutes Chaos und es gibt dann doch Gedanken, die man tatsächlich nicht versuchen sollte zu ordnen.

Sonnenuntergang: Für mich der beste Moment, um abschalten und reflektieren zu können