Maunakea - Danke

Maunakea – du hast mir den vielleicht schönsten Moment in meinem ganzen Leben geschenkt. Wobei, nicht nur den Moment, sondern vor allem ein Gefühl. Ein Gefühl, das ich vorher in dieser Art noch nicht kannte. Ich habe sehr viel Respekt vor dem Versuch, es in Worte fassen zu wollen. Wieso das so ist? Weil ich weiß, dass ich niemals wirklich ausdrücken kann, wie ich genau gefühlt habe. Wahrscheinlich werde ich diesem Gefühl also nicht gerecht, aber möglicherweise komme ich ja nah dran.

Maunakea – der höchste Berg der Erde. Wie, das ist nicht der Mount Everest? Doch, aber nur, wenn man die Höhe erst ab dem Meeresspiegel misst. Wenn man etwas tiefer blickt, zeigt sich, dass der Maunakea insgesamt 10203 Meter misst. Über dem Meeresspiegel bleiben davon dann noch 4205 Meter übrig.

Ich bin noch nicht einmal ansatzweise in der Nähe des Maunakeas, da bin ich schon ans Autofenster gefesselt. Nach dem Morgen auf 0 Meter ü.N.N. im Regenwald geht es langsam höher. Ich bin gespannt, denn auf dem Weg bis zum Gipfel durchkreuzt man acht der 13 (Sub-)Klimazonen der Welt. Interessanter kann es ja gar nicht sein. Zumindest für mich nicht.

Nach dem Regenwald sehe ich von kahleren Bäumen über savannenartige Landschaften bis zu schwarzem erkalteten Lavagestein alles. Minütlich ändert sich die Landschaft. Ich habe ein riesiges Glück mit dem Wetter – schon vom Meer aus habe ich den Gipfel des Maunakeas mit den Teleskopen erblicken können. Ab und zu merke ich an meinen Ohren, wie viele Höhenmeter ich gerade zurücklege. Denn plötzlich bin ich auch schon am Maunakea Visitor Centre angekommen, das auf etwa 3200 Metern liegt. Ich steige, immer noch fasziniert von den verschiedenen Vegetationszonen, aus dem Auto aus und starre einfach nur in die Ferne.

Auf Höhe des Visitor Centers

Man schaut schon von hier aus auf die tiefergelegenen Wolken hinab, während andere höhere Berge ebenfalls durch die Wolkendecke hindurchstechen. Die Landschaft sieht etwas „marsähnlich“ aus. Nicht, dass ich schon auf dem Mars war, aber wir kennen ja alle die typischen Satellitenbilder. Hier beim Visitor Centre bleibe ich eine ganze Weile, um mich etwas akklimatisieren zu können. Eine halbe Stunde ist hier sogar vorgeschrieben. Es gibt noch einen kurzen Trail auf einen Hügel hinauf, den ich mir natürlich nicht entgehen lasse. Auch wenn der Weg nicht sehr lange ist, merke ich sofort, dass ich innerhalb der letzten Stunde über 3000 Höhenmeter zurückgelegt habe. Da schlägt mein Herz gleich schneller und die Puste bleibt mir auch deutlich zügiger weg. Wobei, ob die Höhe wirklich für den schnelleren Herzschlag verantwortlich ist? Da bin ich mir ja nicht so sicher. Es ist auch gut möglich, dass es Zeichen meiner Freude und Zufriedenheit ist, die ich gerade empfinde.

Als ich zurück am Visitor Centre bin, geht es wieder ins Auto. Wobei nicht direkt, denn ein kleiner Besuch im Shop muss natürlich auch sein. Ich bin noch nicht einmal oben auf dem Gipfel, und trotzdem hat der Maunakea etwas ganz besonderes mit mir angestellt. Deshalb schaue ich mich noch nach einem Andenken an diesen Ort um. Und ich werde fündig: Meine Hoodie-Liebe lässt mich nicht im Stich und ich bin um einen Pulli reicher.

Jetzt geht es aber ins Auto. Ich passiere zwei Mitarbeiter des Visitor Centres, die sicherstellen, dass ich mindestens ein halbe Stunde dort war und vor allem ein geeignetes Auto habe. Ohne Allradantrieb führt kein Weg nach oben. Nach weiteren Sicherheitsinformationen gibt er das GO: Und ab diesem Zeitpunkt ist mir mein Grinsen nicht mehr zu nehmen.

Bewusst habe ich im Vorfeld dieses Trips nach Big Island meine Erwartungen herunter geschraubt: Nur zwei Tage vorher, als ich noch auf O‘ahu war, gab es sehr starke Unwetter. Das habe ich selbst zu gut gemerkt, denn Honolulu und der Rest der Insel standen unter Wasser. Der Strom in meinem Gebäude ist für über 48 Stunden ausgefallen. Naja, und oben auf dem Maunakea hat es eben nicht geschüttet, sondern die stärksten Schneestürme gehabt. Durch Webcams habe ich das nur zu gut verfolgen können. Nicht, dass es nicht beeindruckend aussah, aber es hat eben auch bedeutet, dass die Straße zum Maunakea Summit über mehrere Tage geschlossen wurde, da sie voller Schnee und Eis war. Es war mein Traum, auf den Gipfel kommen zu können, doch alles sah danach aus, als dass dieser Traum wohl nicht in Erfüllung gehen würde. Aber dann: An diesem Morgen schaue ich mehrmals auf der Website nach, die abends das letzte Mal aktualisiert wurde. Doch beim fünften Versuch, um 9:13am, lese ich tatsächlich „Road open“. Ich muss aufstehen, kann einfach nicht sitzenbleiben und bin schlichtweg fassungslos. Ich kann nicht glauben, dass die Straße tatsächlich geöffnet wurde.

Und so fahre ich jetzt wirklich auf der Summit Road, die mich in circa einer halben Stunde auf 4205 Meter bringt. Kopfschüttelnd sitze ich im Auto, nach einigen Minuten erblicke ich den ersten Schnee und mir eröffnet sich die grenzenlose Aussicht nach und nach. Das Auto wird zwischen den riesigen Teleskopen geparkt und dann öffne ich die Autotür. Ein eisiger Wind weht mir ins Gesicht und ich betrete mit meinen Wanderschuhen den Schnee. Bevor ich meine zusätzlichen Klamottenschichten anziehen kann, schaue ich einfach nur in die Ferne. Ich bin gefesselt von der Atmosphäre. Ich freue mich wie ein kleines Kind. Nur noch ein Stückchen mehr. Jetzt kommt auch direkt der neue Hoodie zum Einsatz. Wenn ich den Pulli in Zukunft anziehen werde, denke ich also nicht nur an den Ort an sich zurück, sondern ganz besonders an die einmalige Erfahrung, die ich mit ihm erlebt habe.

Nichts und Niemand kann mir mein Strahlen nehmen

Es hat Temperaturen nur knapp über dem Gefrierpunkt, es müssten zwei Grad Celsius sein, doch durch den Wind fühlt es sich zweifellos wie Minusgrade an. Dazu kommt natürlich auch, dass ich vor wenigen Stunden noch in kurzen Sommerklamotten im tropischen Regenweld stand und mich zu Tode geschwitzt habe. Mehr Kontrast, sowohl in Landschaft als auch Temperatur, geht wohl nicht.

Egal wo ich hinschaue, mir offenbart sich eine unendliche Eis- und Schneelandschaft vor meinen Augen. Ich bin fasziniert. Ich schaue mich um und versuche zu realisieren, dass ich mich gerade mitten im pazifischen Ozean befinde. Auf über 4000 Metern Höhe. Über den Wolken. Im Schnee. Auf Hawai’i.

Ich könnte nicht glücklicher sein. Um ehrlich zu sein – ich weiß, dass das eine gewagte Aussage ist – war ich vielleicht noch nie so glücklich, wie in diesem Moment. Es ist das Gefühl, das ich in seiner Ganzheit gar nicht in Worte fassen kann. Ich fühle mich frei. Ich fühle Grenzenlosigkeit. Ich fühle mich.

Ja, das klingt ziemlich komisch, aber so ist es. Ich habe das Gefühl, mir selbst näher zu sein. Auch wenn dort andere Menschen sind, bin ich ganz bei mir.

Es gibt keine äußeren Einflüsse, die mich ablenken könnten. Ich kann ganz ruhig in mich hineinhören und mich selbst wahrnehmen. Wer bin ich überhaupt? Wer möchte ich sein? Wie muss ich leben, sodass ich auf mich selbst stolz sein kann? Dass ich mit mir selbst im Reinen bin? All das sind Grundsatzfragen, die schon in die Richtung „Was ist der Sinn des Lebens?“ gehen. Natürlich findet man da nicht sofort eine Antwort drauf. Vielleicht auch nie. Aber das sind die Fragen, die ich mir in diesem Moment stelle. Maunakea – du bringst mich zu mir selbst. Du lässt mich Ich sein. Du zeigst mir, was mir selbst wichtig ist. Du gibst mir ein Gefühl der Ursprünglichkeit. Ein Gefühl von Magie, die aber irgendwie Realität ist.

Glücklich

Oder falls ich doch gerade den schönsten Traum träumen sollte: Bitte wecke mich niemals auf. Lass mich weiter träumen.

Nach und nach geht die Sonne unter. Wobei, es ist ja genau andersherum. Ich drehe mich mit der Erde von der Sonne weg. So überwältigend diese Momente gerade für mich sein mögen, egal, ob ich Dinge in den für mich größten Dimensionen fühle, die mich denken lassen, dass mein Herz gleich aus mir herausspringt; im Endeffekt bin ich ein total winziges und unsichtbares Irgendetwas, das auf dieser sehr kleinen Erde in einem unvorstellbar riesigen Universum seinen Platz hat. Wie kommen wir eigentlich auf die Idee zu sagen, dass die Sonne untergeht, obwohl sie in ihrer Mächtigkeit und Größe schön auf ihrer Stelle bleibt und den Mittelpunkt des Sonnensystems bildet?

Kopfschüttelnd schaue ich mir den Sonnenuntergang an. Jede Sekunde wird der Himmel samt Wolken noch schöner gefärbt. Ich habe schon sehr, sehr schöne und besondere Sonnenuntergänge erlebt und es daher auch schon mehrfach gesagt, aber diesmal sage ich es mit tiefster Überzeugung: Es ist der wundervollste Sonnenuntergang meines Lebens. Ich denke, wundervoll trifft es ganz gut. Es ist nicht nur dessen Schönheit, es ist eben das Gefühl, welches dadurch in mir ausgelöst wird.

Das Gefühl, dass ich glaube, jedes einzelne Glückshormon spüren zu können, das gerade in mir ausgeschüttet wird. Das Gefühl, dass ich jetzt gerade genau hierhin gehöre. Dass ich hier richtig bin. Dass es in diesem Moment keinen anderen Ort der Welt gibt, an dem ich besser aufgehoben wäre. Ich bin ganz bei mir selbst und kann jetzt behaupten: Ich weiß, wie sich „glücklich sein“ anfühlt.

Ich habe in meinem Leben schon viele glückliche Momente gehabt – ich bin generell ein sehr lebensfroher Mensch – aber jetzt gerade fühle ich etwas, das mit Nichts zuvor zu vergleichen ist. Es ist anders.

Ich stehe hier und bin immernoch fassungslos. Ich habe in meinem Leben noch nie so große und überwältigende Glücklichkeit in einem einzelnen Moment gespürt. Doch ich denke mir auch: Ich wünschte, meine Familie könnte das mitansehen. Ich wünschte, sie könnten es auch fühlen. Diesen Moment.

Es fühlt sich so surreal an. Darf ich wirklich gerade Zeugin dieses Naturschauspiels sein? Was habe ich in meinem Leben getan, um so etwas erleben zu dürfen? Womit habe ich das verdient, so glücklich zu sein?

Auch wenn es womöglich einen anderen Eindruck erweckt: Diese Fragen, die nach Zweifel und vielleicht ein bisschen Traurigkeit klingen, bedeuten nicht, dass sich an meinem Gefühl etwas ändert. Dass negative Gedanken meine Glücklichkeit durchkreuzen. Nein, absolut nicht. Diese Fragen tauchen in meinem Kopf auf, weil alles so unwirklich wirkt. Es ist schwierig zu beschreiben, aber ich empfinde eine Art Widerspruch, während ich in meinem Leben noch nie so viel Klarheit gespürt habe. Es ist paradox. Auf der einen Seite kann ich nicht glauben, dass das die Realität ist, meine Realität. Auf der anderen Seite habe ich etwas, habe ich mich noch nie so stark gefühlt. Und dieses riesige Gefühl in mir, das ist mehr als real.

Ich könnte noch ewig versuchen, dieses Gefühl in Worten auszudrücken. Aber es gibt eben einen Grund, wieso es neben Gedanken auch noch das Empfinden, die Gefühle, gibt. Könnte man alle Wahrnehmungen in Gedanken abbilden und in ihrer Ganzheit abdecken und ausdrücken, dann bräuchte man das Gefühl ja gar nicht. Und irgendwie ist es auch schön zu wissen, dass dieses Erlebnis, dieses Gefühl, für immer mein persönlicher Moment bleiben wird.

Maunakea – Danke.