Meine Ankunft auf Hawai'i - ziemlich turbulent

11/10/2021

Waikiki Hawai'i Ala Moana Beach Strand Annerschtwo
Waikiki Hawai'i Ala Moana Beach Strand Annerschtwo

Mein Gap Year hat offiziell begonnen, ich bin in Honolulu angekommen! Doch so einfach und unkompliziert wie es klingt, ist es dann doch nicht – leider nicht. Denn nicht nur mein Flug von San Francisco nach Honolulu war zwischenzeitlich turbulent, sondern auch die ersten Stunden und Tage nach meiner Ankunft.

Angekommen!

Aber ganz langsam – Nach einem sehr emotionalen Abschied in Frankfurt ist mein nächstes Zwischenziel San Francisco. Der Flug hätte nicht viel schöner sein können. Der Blick aus elf Kilometer Höhe über grenzenlos verschneites Grönland, nördliches Kanada und die beeindruckenden Rocky Mountains fesselt mich ans Fenster. Naja, das Essen lässt etwas zu wünschen übrig, aber damit kann ich leben. Dadurch, dass die Grenzen für europäische Touristen in die Vereingten Staaten noch zu sind, habe ich eine ganze Sitzreihe für mich alleine und kann es mir mehr als bequem machen. Noch ist alles sehr ruhig, in einer Boeing 747-8 vergisst man zügig, dass man gerade fliegt. Mein persönliches Highlight: Auch wenn ich noch nie in San Francisco war, habe ich zumindest die Golden Gate Bridge aus der Luft gesehen.

Rocky Mountains Flugzeug Hawai'i Annerschtwo
Rocky Mountains Flugzeug Hawai'i Annerschtwo

Blick auf die Rock Mountains

Die sechs Stunden Aufenthalt in San Francisco gehen schnell vorbei, sie füllen sich mit Essen, überteuertem Covid-Test für die Hawaii-Einreise und erneuter Gepäckaufgabe. Über das hell erleuchtete San Francisco steigt mein nächster Flieger abends in die Höhe – und nach fünf Stunden über dem Pazifik ist es dann soweit: Ich betrete tatsächlich hawaiianischen Boden. Beim Verlassen des Flughafengebäudes fühlt es sich an, als laufe ich gegen eine Wand – über 20 Grad Temperaturunterschied im Vergleich zu Deutschland merke ich dann doch. Ein Stein fällt mir vom Herzen, als ich schließlich meinen Koffer in der Hand halte. Das Adrenalin kompensiert in großen Teilen meine Müdigkeit und nach kurzer Suche finde ich auch meinen Transfer, der mich zu meiner Gastfamilie bringt. Es ist nach 22 Uhr und dementsprechend sehe ich noch nicht wirklich von Honololu, abgesehen von Auto- Scheinwerfern.

Nach einer nicht allzu langen Fahrt sind wir angekommen – doch der Eingang zum Haus meiner Gastfamilie scheint etwas versteckt zu sein. In völliger Dunkelheit erblicke ich einen Weg, der auf ein Grundstück führt und eher einem Trampelpfad ähnelt. Laut Google Maps ist das die Adresse meiner Gastfamilie. Mit Gewalt ziehe ich meinen Koffer durch Erde und Dreck und stehe nun vor einem Haus. Durch ein Fenster sehe ich Licht und einen Mann, der an einem Tisch sitzt – schlafend. Ich schaue mich weiter um und erblicke einen Wohnwagen, der im Garten steht. Dort geht eine Person in weitem weißen Hemd auf und ab. Die Dunkelheit lässt mir einen Schauer über den Rücken laufen. Ich schaue zwar keine Horrorilme, aber das wäre sicherlich eine perfekt gedrehte Szene. Doch leider befinde ich mich in keinem Film, sondern in der Realität. Ich schaue mich möglichst leise um, aber kann keine Tür erblicken. Ich fasse meinen Mut zusammen, Google Maps hat mir keinen Raum für Zweifel gegeben, und klopfe mehrmals an das Fenster, bis der besagte schlafende Mann hochschreckt und mich bemerkt. Er symbolisiert mir, dass die Haustür um die Ecke sei. Etwas verunsichert, aber einfach nur froh angekommen zu sein, gehe ich in Richtung Haustür, wo er mich hereinlässt.

Flughafen HNL: Zu diesem Zeitpunkt habe ich nicht die leiseste Ahnung, was mich bald erwarten würde

Ich bin noch nicht mit einem Fuß in der Tür und schon kommt mir ein sehr gewöhnungsbedürftiger Geruch entgegen. Aber ich warte erstmal ab. Er fragt mich woher ich komme, wie ich heiße, all die üblichen Sachen. Doch komischerweise wiederholt er seine Fragen zwei- oder dreimal. Er ist schon älter und wirkt nicht ganz klar. Ich würde es gerne darauf schieben, dass ich ihn scheinbar aufgeweckt habe, doch mein Gefühl sagt mir etwas anderes. Hat er getrunken oder etwas anderes genommen? Ich möchte ihm nichts ohne Grundlage unterstellen, doch „normal“ wirkt er definitiv nicht. Währenddessen zeigt er mir mein Zimmer und meint scheinbar, dass damit sein Job getan sei. Ich frage ihn, ob er mir das Bad zeigen könne. Das tut er auch, doch was soll ich sagen: Sauber sieht anders aus. Die Küche passt auch ins Bild. Langsam aber sicher bin ich nicht mehr so froh, angekommen zu sein und sage ihm, dass ich müde sei und direkt schlafen gehe. Ich schließe die Türe und muss erstmal schlucken. Gleichzeitig erblicke ich gegenüber meine „Fenster“, die allerdings vollständig mit altem Karton zugeklebt und provisorisch mit einem altem Stück Stoff bedeckt sind. Wieso tut man so etwas? Vermutlich weil man nicht möchte, dass man von außen sieht, wie es drinnen aussieht oder was dort vorgeht.

Langsam lasse ich mich auf mein „Bett“ (3 Matratzen übereinander) sinken und rufe meine Eltern an. Nach 32 Stunden auf den Beinen, in denen ich ganze drei Stunden geschlafen haben, bringt mich diese Situation an meine Grenzen. Am Telefon kann ich meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Es sind keine Tränen der Enttäuschung, kein schöneres Haus oder nettere Gasteltern zu haben, es sind Tränen der Angst und Hilflosigkeit. Ich bin offenbar alleine mit einem älteren Mann, der mir zudem höchst widersprüchliche Antworten gegeben hat, als ich nach der Person im Garten gefragt habe. Zuerst habe er Zelte beziehungsweise Wohnwägen im Garten, in die man einfach tagsüber gehen könne (sein Wortlaut: „for fun“), eine Sekunde später haben diese dann doch dem Nachbarn gehört und nein, da sei niemand draußen. Nur blöd, dass ich in diesem Fall dann doch lieber auf meine eigene Wahrnehmung vertraue. Direkt ist für mich klar: Hier kann ich nicht bleiben, hier mache ich trotz Riesen-Übermüdung kein Auge zu.

Honolulu Hawai'i Gastfamilie Annerschtwo
Honolulu Hawai'i Gastfamilie Annerschtwo

Die "Fenster" meines Zimmers

Doch wie komme ich hier weg? Es ist etwa 23 Uhr nachts, ich bin in einem fremden Land und kenne mich dementsprechend auch nicht aus. Doch dann meine Rettung: Ich habe vor einigen Wochen mit Sandra geschrieben, eine Arbeitskollegin meines Papas, die hier auf Oahu mit ihrer Familie lebt. Ich kenne sie zwar nicht persönlich, aber das spielt keine Rolle: Ich rufe sie an und schildere ihr die Situation. Ohne, dass ich überhaupt fragen muss, sagt sie, dass sie in 20 Minuten da sei und mich abhole. Ich habe in meinem Leben selten solch große Erleichterung gespürt. Während ich auf sie warte, bewege ich mich nicht von meiner Zimmertüre weg – dem Schloss vertraue ich nicht. Als ich schließlich die ersehnte Nachricht lese, dass Sandra da sei, ziehe ich meinen Rucksack auf, nehme meinen Koffer und verlasse möglichst leise das Haus.

Es ist nicht ganz so einfach: Der ganze Gang von meinem Zimmer bis zur Haustür ist an der Seite bis zur Decke mit Kisten hoch zugestellt, doch mein Host bemerkt tatsächlich nicht, dass ich ganze 30 Minuten nach meiner Ankunft schon wieder verschwinde. Ich hinterlasse ihm eine Notiz und lasse ihn wissen, dass ich nicht hier schlafe und auch nicht wiederkomme. Draußen auf der Straße realisiere ich, dass nicht nur Sandra, sondern auch ihr Mann und bald zwei Jahre alter Sohn im Auto sitzen. Sie nehmen mich mit zu ihnen und überlassen mir sogar das Kinderzimmer ihres Sohnes. Ich weiß gar nicht, wie ich ihnen danken kann. Sie holen mich gegen Mitternacht ab, obwohl sie mich nicht einmal kennen und als ob es das Selbsverständlichste überhaupt sei.

Einfach nur froh, einen sicheren und mehr als gemütlichen Schlafplatz zu haben, falle ich ins Bett. Durch die Herzlichkeit, die ich erfahren darf, ist der Schock der letzten Nacht schnell verdaut. Als ich aufwache, richte ich mich auf, schiebe die Gardinen zur Seite und erblicke aus dem elften Stock das Meer.

Hawai'i Honolulu O'ahu Annerschtwo
Hawai'i Honolulu O'ahu Annerschtwo

Erst jetzt realisiere ich wirklich: Ich bin angekommen, ich bin auf Hawai’i. Einen schöneren Blick für den ersten Morgen hätte es wohl kaum geben können, auch wenn die Umstände alles andere als optimal sind. Doch zunächst bin ich einfach mehr als glücklich mit Sandras Familie übergangsweise bis Montag zu wohnen, bis mir meine Organisation eine alternative Unterkunft zur Verfügung stellt.

Der Blick aus Sandras Wohung