Der erste Monat in Panama, Teil 2/2
10/20/202510 min lesen
... Aber vielleicht sollte ich mal noch ganz an den Anfang spulen, nämlich zu den zwei Wochen Reisen vor Praktikumsbeginn. Ich bin unendlich froh, diese Zeit gehabt zu haben, um Panama beim Reisen kennenzulernen, bevor mein Leben hier in Panama City begann. Und ja, ich hätte diese Zeit auch zur Wohnungssuche nutzen können, denn das hätte mir den Stress in der ersten Praktikumswoche und auch die doppelte Miete erspart – doch ich würde es genauso wieder tun. Ich habe in diesen zwei Wochen so viele tolle Menschen getroffen, unglaubliche Natur- und Pflanzenwelt gesehen und mich so frei gefühlt. Das hätte ich für kein Geld oder Stress der Welt missen wollen.


Schon an meiner ersten Station in El Valle de Antón habe ich mich mit meiner Lost & Found – Reisegruppe zusammengefunden, so nenne ich uns jetzt einfach mal. Wir waren komplett bunt durchgemischt: fünf jeweils allein reisende Mädels und dann noch zwei junge niederländische Paare, die jeweils für ein paar Wochen zu zweit in Panama und Costa Rica unterwegs waren. Eine von uns ist gerade in ihre längere Backpacking-Reise gestartet, die andere war schon 7 ½ Monate unterwegs. Ich war kurz davor, für drei Monate in Panama City zu leben und wiederum eine andere kam gerade aus El Salvador und Guatemala, um ihre Reise nach Kolumbien und Peru fortzusetzen. Wir hatten uns in unserem Hostel in El Valle super gut verstanden und festgestellt, dass wir alle ziemlich ähnliche Pläne hatten. Und dann sind wir eben zusammen weitergereist. Ich war in den letzten Jahren viel in Hostels unterwegs und habe mich mit vielen Leuten sehr gut verstanden. Aber mit so vielen Leuten eine so schöne Gruppendynamik zu haben, das kommt nicht so häufig vor.
Umso glücklicher weiß ich mich für diese knappen zwei Wochen zu schätzen. Aber zurück an den Ort, wo wir uns im Hostel alle kennengelernt haben: Wenn ich an El Valle denke, kommen mir direkt drei Dinge in den Kopf: Unwetter, Sonnenaufgang, Pasta. Unwetter, weil wir bei der sog. India Dormida Wanderung in das übelste Gewitter geraten sind, als wir gerade oben auf dem Plateau angekommen sind – ja ich weiß, es ist nicht die beste Idee bei Gewitter auf einer Hochebene ohne Bäume herumzuspazieren. Wir haben also den schnellsten Weg nach unten gesucht. Der Wanderweg hat sich schnell in einen Wasserfall mit viel Matsch verwandelt – die Regenzeit lässt grüßen. Aber davon ließen wir uns nicht aufhalten und versuchten unser Glück bei anderen Wanderungen. So auch an dem Tag, an dem wir später noch Richtung Santa Catalina, unserem nächsten Ziel, aufbrachen. Um 4 Uhr standen wir vor dem Hostel bereit, nahmen den Bus für 10 Minuten und wanderten dann los.




Sonnenaufgang La Silla
Als wir oben auf der La Silla ankamen, war es noch stockdunkel. In der Ferne sahen wir, wie Blitze die Nacht erhellten. Diesmal aber in sicherer Entfernung. Man sah nichts außer den Lichtern, die in weiter Distanz in den Städten fackelten. Und dann verdrängte plötzlich und zugleich doch irgendwie langsam das Rot und Orange am Horizont über dem Pazifik das Dunkel der Nacht. Ich dachte, es kann nicht mehr schöner werden. Doch dann erhob sich langsam der rote Feuerball über den Bergen und tauchte die gesamte Landschaft in ein goldenes Leuchten. Ich liebe Sonnenuntergänge und ich will auch gar keine Vergleiche ziehen - aber zu sehen, wie die Sonne früh morgens aufgeht, wenn die Welt noch so verschlafen wirkt und wortwörtlich von der Sonne aufgeweckt wird, ist und bleibt einfach etwas ganz Besonderes.




Am gleichen Tag ging es dann noch mit vier verschiedenen Bussen nach Santa Catalina – wir waren fix und alle, als wir nach diesem ewig langen Tag endlich angekommen sind. Aber Stopp, jetzt habe ich fast die Pasta als letzte Assoziation mit El Valle vergessen. Es ist auch absolut nichts Besonderes, ich habe mich dort einfach nur drei Tage lang von ein und derselben Pasta ernährt. Als ich am ersten Tag ankam und Hunger hatte, hatte ich extra etwas mehr gekocht, um nicht am nächsten Tag direkt wieder kochen zu müssen. Und was soll ich sagen, ich habe mich etwas verschätzt und mich daher drei Tage lang teilweise zwei Mal am Tag von der gleichen Pasta mit Tomatensoße ernährt. Aber zu meiner Verteidigung: Es war eine cremige (!) Tomatensoße, da ich etwas Käse untergemischt hatte. Und Tomate, Paprika, Zwiebel und sogar Mais hatte ich noch reingeschnippelt. Aber ja, wie sehr ich mich an diese Pasta erinnern kann, obwohl es über drei Wochen her ist, zeigt scheinbar, wie intensiv dieses Pasta-Erlebnis war.




bevor wir klitschnass wurden
nachdem wir klitschnass wurden
Santa Catalina war ein Traum. Dort hätte ich ohne Probleme länger bleiben können. Ein kleines, verschlafenes Surfer-/Beach – Örtchen in der Nebensaison. Mein Tag bestand nur aus Lesen, Schlafen, Surfen, Essen und tatsächlich produktiver Laptop-Zeit. Das Hostel war die beste Wahl, die wir hätten treffen können – ein super liebes Team an Volunteers, andere nette Gäste und ein paar Hängematten haben uns mehr als wohlfühlen lassen. Für einen Tag sind wir zur Isla Coiba gefahren und dort geschnorchelt. Früher war ich absolut kein Schnorchel-Fan, doch das hat sich mittlerweile geändert. Minutenlang befand ich mich mitten in einem Fischschwarm von hunderten gelb-schwarz-gestreiften Fischen und bin mit ihnen mitgeschwommen. Die Fische haben sich von meiner Anwesenheit scheinbar gar nicht gestört gefühlt. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Als wäre das nicht schon besonders genug, konnten wir auch mehrere Haie und Meeresschildkröten sehen. Das war zwar beides nicht das erste Mal für mich, aber dadurch wird der Moment nicht weniger besonders. Es bleibt einmalig. Santa Catalina wird mir für immer als wunderschöne Erinnerung erhalten bleiben, und wer weiß, vielleicht komme ich eines Tages ja zurück.




Ich mag das, mir Gedanken darüber zu machen, ob und wenn ja, wann und wie ich an bestimmte Orte zurückkehren werde. Wenn ich einen Ort verlasse, kann ich mir immer nicht vorstellen, dass ich wirklich nie wieder dort sein werde. Vielleicht komme ich ja eines Tages zurück. Allein? Mit Freunden? Mit meiner eigenen kleinen Familie? Ich weiß es nicht. Aber ich mag es, mir unterschiedliche Szenarien auszumalen. Bis zu dem Punkt, an dem ich merke, wie glücklich ich jetzt gerade in diesem Moment bin und mir keine Gedanken mehr über die Zukunft machen möchte, da ich dazu viel zu zufrieden mit der Gegenwart bin. Realistisch gesehen werde ich auch nur an einen kleinen Bruchteil der Orte, die ich bereist habe, nochmal zurückkehren. Aber das ist okay. Ich will ja auch Neues sehen, für alles andere bin ich zu neugierig.






Von Santa Catalina ging die Reise weiter nach Boquete – bzw. über David nach Boquete. Da die beiden niederländischen Pärchen jeweils ein Mietauto hatten, konnten wir uns auf die Autos aufteilen und hatten so eine ziemlich bequeme Fahrt nach Boquete. Für einen Teil von uns hieß es jedoch: Übernachtung in David. Boquete liegt auf etwa 1200 Metern Höhe in den Bergen und da zwei von uns noch am gleichen Tag tauchen waren, wäre der Höhenunterschied zu groß gewesen. Daher fanden wir uns spontan in einem Familienzimmer in einem Hotel in David wieder – damit hatte einen Tag zuvor wohl auch niemand gerechnet. Im Endeffekt waren wir sehr froh über den Zwischenstopp in David, denn die Fahrt dorthin war der absolute Horror. Die letzten zwei Stunden der Autofahrt hat es ununterbrochen gewittert und so stark geregnet, dass man weder Straßenmarkierungen noch die Fahrbahnbegrenzungen an der Seite sehen konnte. Die einzige Möglichkeit war, die wenigen Autos, die unterwegs waren, nicht aus den Augen zu verlieren und einfach blindlings direkt hinter ihnen ihre Spur nachzufahren. Wir anderen werden Maarten für immer dankbar sein, uns so sicher und souverän nach David gebracht zu haben.


Am nächsten Tag stand der kurzen einstündigen Fahrt nach Boquete dann auch wirklich nichts mehr im Weg!
Ich blieb sechs Tage in Boquete, da ich vor meinem Praktikumsstart noch einmal so richtig runterfahren und mich erholen wollte. So schön diese zwei Wochen Reisen waren, so anstrengend waren sie auch – es gab keinen Tag, an dem wir nichts unternommen haben. Und in Boquete ging es erstmal damit weiter.
Spontane Übernachtung im Familienzimmer in David
Unser erster Hike war Il Pianista. Ein wunderschöner Hike durch den panamaischen Nebelwald. Eine Wanderung, für die es kein treffenderes Motto geben könnte als: „Der Weg ist das Ziel“. Oben ist es nämlich so gut wie immer neblig. Aber die Wanderung an sich ist einfach das Highlight. Der Urwald verändert sich ständig. Wir sind in den vier Stunden keiner einzigen Person begegnet – außer einem Einheimischen, da wir uns verlaufen hatten und uns versehentlich auf seinem Grundstück wiedergefunden hatten. Dass wir keine anderen Touristen gesehen hatten, lag vermutlich auch an der Regenzeit. Die Atmosphäre war einmalig. Ab und zu blieb ich stehen und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Man fühlt sich so klein und fühlt gleichzeitig aber so viel.




Die wirklich große Quest in Boquete war allerdings die Besteigung des Vulcán Barú, Panamas höchstem Berg. So etwas habe ich auch noch nie gemacht: Ohne Schlaf starteten wir um Mitternacht unsere Wanderung. 15 Kilometer Wanderweg und 1.800 Höhenmeter lagen vor uns. Ab und zu leuchtete ich mit meiner Stirnlampe nach oben in die Baumkronen, um zu realisieren, wo wir hier gerade in der stockfinsteren Nacht herumstapften. Wir hatten unglaublich viel Glück mit dem Wetter und haben uns unter einem einmaligen Sternenhimmel Schritt für Schritt den Berg hochgekämpft. Ich war klitschnass geschwitzt, doch sobald wir nur kurz stehenblieben, merkte ich, wie kalt es eigentlich war. So richtig kalt wurde es, als wir um kurz vor halb 6 oben ankamen. Die drei Grad mit Wind fühlten sich auch genauso an. Ich hatte zum Glück ein komplett warmes Outfit in meinem Rucksack, sodass ich mich von meinen nassen, vollgeschwitzten Klamotten befreite und mich einmal komplett umzog. Meine Skiunterwäsche bewährte sich und wurde um zwei weitere Shirts, einen Flies, eine Regenjacke, einen Regenponcho als weiterer Schutz vor dem Wind und Socken als Handschuhe ergänzt. Ich sah genau so aus, wie man sich das bei dieser Beschreibung vorstellt – wie ein aufgeplusterter Schlumpf in einem Poncho. Aber das war mir sowas von egal, denn ich habe nicht gefroren.




Und dann, ab etwa 5:45 Uhr, ging die Sonne auf. Nach über fünf Stunden Wanderung standen wir dort oben über den Wolken und sahen, wie das Blutrot der Sonne an einzelnen Stellen durch die Wolkendecke stach. Der Moment, als die ersten Sonnenstrahlen über den Wolken unsere Haut berührten, war ein ganz besonderer. Sofort wurde es wärmer. Einfach wunderschön. Bei guter Sicht kann man von dort oben auf über 3400 Metern beide Ozeane sehen – den Atlantik und den Pazifik. In diesen Genuss sind wir leider nicht gekommen, doch es hat sich nicht angefühlt, als hätte irgendetwas gefehlt. Es war perfekt. Perfekt bis zu dem Zeitpunkt, als wir den Abstieg begannen. Dann war gar nichts mehr perfekt, denn 15 Kilometer am Stück bergab zu laufen ist ziemlich unangenehm. Doch das Licht am Morgen, das sich seinen Weg durch den Regenwald bahnte, war wunderschön. Die Umgebung, durch die wir mittendrin der Nacht hochgewandert sind, nun im Morgenlicht zu erleben, hatte definitiv seinen Reiz. Als wir nach vier Stunden Abstieg endlich wieder unten waren und es gerade mal 10:30 Uhr war, fühlte sich das einfach nur surreal an. Bin ich gerade die ganze Nacht, anstatt zu schlafen, einen Vulkan, den höchsten Berg von Panama, hochgewandert, um den Sonnenaufgang von über den Wolken aus zu sehen? Ja, anscheinend schon. Aber es sind eben genau diese verrückten Dinge, an die man sich noch sein ganzes Leben mit einem Schmunzeln zurückerinnern und mal seinen eigenen Kindern erzählen wird.




Über den Wolken ...
over & out
Von Boquete ging es für mich dann zurück nach Panama City, um in ein neues Kapitel zu starten, während die anderen ihre Reise fortsetzten.


Jetzt sitze ich hier, mittlerweile in meinem schön großen Bett und nicht mehr am Esstisch, und schreibe diese Zeilen in Unglauben. Unglaube deshalb, weil es absolut verrückt ist, dass all das, von der ersten bis zur letzten Zeile, nur in den letzten vier Wochen geschehen ist. Es fühlt sich an, an wäre ich schon vor Monaten angekommen. Und es gibt noch eine Überraschung: Die Brownies sind, nach aktueller Einschätzung, tatsächlich zum Verzehr geeignet. Mal schauen, wie sie morgen früh aussehen.
Vielleicht können sich meine Kollegen also doch noch auf eine schokoladige Arbeitsmotivation morgen freuen.
So, dieser Artikel ist mal wieder etwas ausgeartet und ich werde ihn in zwei Teile teilen. In den letzten vier Wochen gab es immer etwas zu sehen, zu erleben oder zu erledigen, sodass sich meine Gedanken scheinbar etwas aufgestaut haben. Umso schöner das Gefühl, sie jetzt einfach heraussprudeln zu lassen.






Pfälzer Mädel Annerschtwo
Reisegedanken - Reiseerfahrungen - Reisetipps