Zwischen Freude und Wehmut - Abschied aus Südamerika
2/6/20257 min lesen
Lange habe ich überlegt, ob ich diese Zeilen wirklich teilen soll. Wahrscheinlich werden sie nur wenige lesen – und doch sind sie öffentlich. Sind sie zu persönlich? Mache ich mich damit verletzlich? Ist es mir unangenehm? Ja, vielleicht. Aber das ist es mir wert. In den letzten Jahren haben sich gerade auf meine persönlichsten Artikel Menschen mit wertvollen und dankbaren Worten bei mir gemeldet.
Und wenn nur eine Person meine Worte liest und sich verstanden fühlt; wenn nur eine Person merkt, dass sie mit ähnlichen Gedanken nicht allein ist; wenn nur eine Person erkennt, dass das perfekte Leben in sozialen Medien nicht immer der Realität entspricht; oder wenn nur eine Person meine Gefühle durch diese Zeilen besser nachvollziehen kann – dann hat es sich schon gelohnt.
Also teile ich meine Gedanken mit dir, die ich am 03. Februar 2025 in Colonia del Sacramento (Uruguay) in einem meiner kleinen Notizheftchen festgehalten habe.
„Dieses kleine Büchlein ist mittlerweile leider so gut wie voll, deshalb wird das, was ich jetzt schreibe, etwas verteilt an verschiedenen Stellen zu finden sein – da, wo noch ein paar Zeilen Platz sind. Aber ich muss mal ein paar Gedanken loswerden. Heute ist Montag. Am Freitag geht mein Flug nach Deutschland. Ich sitze hier am Hafen von Colonia, mit einem wunderschönen, leicht in Rosa eingehauchten Himmel. Einfach perfekt. Diese Abendhimmel werde ich vermissen.


Und das Meeresrauschen auch. Dieses Freiheits- und Selbstbestimmtheitsgefühl. Ich kann es nicht richtig in Worte fassen. Um mich herum Spanisch zu hören. Jeden Tag andere Menschen zu treffen. Mich selbstbewusst und mutig zu fühlen. Oh wow – der Himmel färbt sich stärker. Aus dem zarten Rosa wird ein leuchtendes Pink, schon fast ein Orange. Ein Boot legt gerade an. Menschen angeln neben mir. Ich muss die einzelnen Seiten dieses Buches mit meiner Hand festhalten, damit mir der Wind keinen Strich durch die Rechnung macht. Ich sehe etwas entfernt, wie sich die Fähre der Küste nähert. Das ist schon verrückt. Ich könnte in einer Stunde mit der Fähre in Buenos Aires sein. Oh, wie ich mich beherrschen musste, nicht doch für zwei Tage hinüberzufahren. Aber wenn ich nach Argentinien gehe, dann so richtig. Dann möchte ich Zeit haben, am besten mehrere Monate. Deshalb hebe ich mir Argentinien für das nächste Mal Südamerika auf. Der Wind wird stärker, aber ich mag es. Ich spüre den warmen Wind überall auf meiner Haut – in meinen Shorts und meinem Top ist es mir noch nicht mal frisch. Es ist perfekt. Und doch driften meine Gedanken immer wieder ab – in die Zukunft. Ein paar Tage in die Zukunft. Ich weiß nicht, was ich denken soll. Ich kann die Frage, ob ich mich auf Zuhause freue, nicht ganz so einfach beantworten. Ein „Ja“ entspricht auf jeden Fall der Wahrheit. Aber vielleicht eben nicht der ganzen Wahrheit. Natürlich freue ich mich auf daheim. Ich kann es nicht abwarten, meine Oma, meinen Opa, meine Tante, meine Cousins und natürlich meine Eltern und Geschwister zu umarmen. Kann es nicht abwarten, mit meiner besten Freundin tonnenweise Nudeln mit Pesto zu essen und in ewiglangen Café-Dates zu versacken. Kann es nicht abwarten, mit meinen Freunden aus der Uni jeden Tag in die Mensa zu gehen. Ich freue mich auf so viel. Und ich liebe meine Familie. Natürlich freue ich mich, sie wieder regelmäßig in meinem Alltag zu haben. Ich weiß, ich bin nicht gut darin, das zu sagen oder zu zeigen. Ich weiß auch nicht, wieso mir das so schwerfällt. Argh, meine Mückenstiche an den Beinen jucken. Die werde ich auf jeden Fall nicht vermissen. Naja, ich arbeite daran und werde versuchen, mich darin zu bessern. Ich glaube, meine Familie denkt, ich freue mich nicht auf Zuhause. Zumindest nicht richtig. Und das bricht mir das Herz. Denn das stimmt auch einfach nicht. Aber andererseits ist es eben auch nicht ganz so einfach. Würde man alles in Schwarz und Weiß betrachten, dann ja. „Ja, ich freue mich auf Zuhause, Punkt.“ Aber die Realität ist eben nicht nur Schwarz und Weiß. Dazu ist der Himmel gerade viel zu orange und rot. Ich fliege eben nicht nur nach Hause. Schön wär‘s. Nein, ich hinterlasse auch ein Leben hier. Erinnerungen. Menschen. Nach Hause kommen bedeutet gleichzeitig auch, ein ganz besonderes halbes Jahr und einen so prägenden Lebensabschnitt hinter mir zu lassen. Ich werde nie wieder mit 22 Jahren allein irgendwo in Uruguay am Wasser sitzen, den Wind meine Frisur zerstören lassen, und bei einem wunderschönen Sonnenuntergang meine Gedanken herunterschreiben können. Ich werde nie wieder jeden Abend am Malecón in Lima spazieren gehen können. Und wenn ich es doch kann, dann wird es ganz anders sein. Dann wird es nicht mein Auslandssemester sein. Dann werden andere Leute um mich herum sein. Und das ist okay so. Mein Leben in Peru war nur mein Leben auf bestimmte Zeit. Aber es war eben mein Leben, und diesem Lebensabschnitt darf ich auch etwas hinterhertrauern. Ich bin ja fast froh, dass ich diese Gedanken habe. Hätte ich diese nicht, hätte ich vielleicht nicht ansatzweise eine so gute Zeit gehabt. Aber es macht es jetzt eben auch schwerer. Denn so ist das Nachhausekommen gleichzeitig auch ein Abschiednehmen. Abschiednehmen von einem Teil meines Lebens und einem anderen Zuhause. Ich weiß auch nicht, wieso ich mich immer so schnell an ein neues Leben gewöhne. Aber es passiert einfach. Ich wünschte auch, es würde mich nicht immer „herausziehen“. Heraus in die Welt, in andere Länder, auf andere Kontinente. Ich wünschte, ich hätte dieses Verlangen nach dem Leben an verschiedenen Orten nicht. Es wäre so viel einfacher. So viel unkomplizierter. Ich müsste mir zum Beispiel jetzt keine Gedanken darüber machen, wie ich mit dieser „Nachhausekommen – Abschiednehmen“ – Situation umgehen sollte. Ich könnte in den Semesterferien einfach zwei Wochen verreisen, und gut wäre es. Aber ich weiß eben auch ganz genau, wie viel mir die Monate im Ausland geben. Wie sehr ich aufblühe. Wie frei ich mich fühle. Wie gut sich alles anfühlt. Und wie richtig. Wie interessiert und neugierig ich bin. Wie ich es liebe, mich mit Menschen in ihrer Muttersprache unterhalten zu können. Wie süchtig ich danach bin, andere Leben und Alltage zu erleben. Wie sehr mich das Reisen und Leben im Ausland im Hier und Jetzt sein lässt. Wie mir bewusst wird, dass ich niemals in eine eintönige Alltagsroutine verfallen will, sodass mir auf Dauer langweilig wird. Wie gerne ich Abwechslung in meinem Leben habe und wie sehr ich sie brauche. Vielleicht nicht für immer. Hoffentlich nicht für immer. Zumindest nicht in diesem Ausmaß. Ich kann mir schon vorstellen, dass das in zehn Jahren anders aussieht. Dass ich mich dauerhaft irgendwo niederlassen möchte. Aber jetzt gerade? Ey, ich bin 22 Jahre alt?! Ich fühle mich so lebendig. Ich liebe das Lebensgefühl, das ich gerade verspüre. Ich bin so neugierig. Selbstbewusst. Mutig, aber nicht naiv. Okay, manchmal auch ein bisschen naiv. Wenn nicht jetzt, wann dann? Ich bin nur für mich selbst verantwortlich. Treffe Entscheidungen ganz allein für mich. Ich habe keinen Job, keinen Partner, keine Kinder, die mich an einen festen Ort binden. Nie wieder wird es so einfach sein, mein Leben ab und zu an einen anderen Ort der Erde zu verlagern. Deshalb ist das auch okay, finde ich. Es fühlt sich jetzt gerade auch einfach genau richtig an. Richtig gut. Richtig bereichernd. Richtig besonders. Und vor allem richtig aufregend. Ich weiß, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, diese Freiheiten zu haben. Aber aktuell habe ich sie, und ich will und werde sie auch weiterhin nutzen. Es ist nicht so, als würde ich mir auf Kosten meiner Eltern alle paar Monate mal eine schöne Zeit im Ausland machen. So ist das ganz und gar nicht. Ja, sie bezahlen mir, wie es übrigens auch im deutschen Grundgesetz verankert ist, meinen Lebensunterhalt zum Studieren, also Miete und Supermarkteinkäufe - das, was man zum Leben braucht. Und dafür bin ich auch extrem dankbar. Aber ob ich zuhause bin oder im Ausland? Das macht keinen Unterschied, der Betrag bleibt der gleiche. Ich habe mein ganzes Studium, mein Auslandssemester eingeschlossen, gearbeitet. Ich hatte Glück, dass ich meinen Hiwi-Job von Lima aus remote fortsetzen konnte. Dann habe ich erfreulicherweise zwei Stipendien erhalten, die ich mir mit harter Arbeit im Studium verdient habe. In Mannheim gebe ich so gut wie kein Geld aus – dafür aber eben im Ausland. Ich weiß genau, wo meine Prioritäten liegen. Warum ich das alles so ausführlich erkläre? Weil es zeigt, dass meine Zeit im Ausland keine spontane Laune war, sondern eine bewusste Entscheidung, für die ich gearbeitet und gespart habe. Weil es zeigt, wie sehr mir diese Auslandserfahrungen am Herzen liegen – und warum es mir gerade so schwerfällt, mich von dieser Zeit zu trennen. Diese Zeit kann mir keiner mehr nehmen. Und obwohl ich das weiß, fällt es mir schwer, diese Zeit nun hinter mir zu lassen und mich wieder meinem alten Leben in Deutschland zuzuwenden. Hinzu kommt, dass ich noch genau weiß, wie lange ich nach meinem letzten langen Auslandsaufenthalt gebraucht habe, um mich wieder in Deutschland wohlzufühlen. Es hat sechs Monate gedauert. Sechs verdammte Monate, obwohl ich so unendlich froh war, wieder all meine Freunde und Familie in meinem Alltag präsent zu haben. Ich habe damals, vor fast drei Jahren, auch einen Blogartikel verfasst. Vielleicht verstehst du durch ihn ein bisschen besser, wovon ich genau spreche. Da ich mich noch so gut an dieses Gefühl erinnere, habe ich jetzt vermutlich so viel mehr Respekt - um nicht zu sagen Angst – davor, zurückzukommen. Vielleicht mache ich mir viel zu viele Gedanken und steigere mich sinnlos in diese Gedankenspirale hinein. Aber leider kann ich sie nicht einfach so abschalten. Ich möchte nicht unnötig dramatisch und trotzdem ehrlich zu mir sein. Und das fühle ich gerade. Irgendwas zwischen Freude und Wehmut."
Die guten Nachrichten: So arg lange dauert es gar nicht, bis ich mein Leben wieder auf den Kopf stellen darf. In neun Monaten geht es für ein paar Monate zurück nach Lateinamerika und ein kleiner, großer Traum von mir, den ich schon seit Jahren habe, wird dadurch in Erfüllung gehen. Den Rest behalte ich erstmal noch für mich, aber wenn es so weit ist, nehme ich dich natürlich wieder mit über den Teich, darauf kannst du dich verlassen;).
Jetzt geht es aber erstmal zurück nach Deutschland, schließlich gibt es da eine Bachelorarbeit, die darauf wartet, geschrieben zu werden.
Pfälzer Mädel Annerschtwo
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