Annerschtwo is annerscht - Mein persönlicher Blick auf Peru (Teil 1)

1/5/20259 min lesen

Wie schnell kann ein Semester eigentlich vorbeigehen? Die letzten Monate sind wie im Flug vergangen. Ich weiß noch genau, wie ich am 30.07. in Lima angekommen bin – und jetzt, über vier Monate später, habe ich auch meine letzte Klausur hinter mich gebracht, sitze in einem Hostel in Kolumbien und im Hintergrund läuft Weihnachtsmusik.

Das Semester in Lima und meine gesamte Zeit in Peru haben mir unglaublich gut gefallen. Gleichzeitig waren sie so anders als mein Leben und Alltag in Deutschland. Deshalb dachte ich, es könnte spannend sein, ein paar Vergleiche zu ziehen und meine Eindrücke zu den Unterschieden und Gemeinsamkeiten zwischen diesen beiden Ländern mit dir zu teilen. Natürlich basiert das alles nur auf meinen eigenen, sehr subjektiven Erfahrungen - eine andere Person könnte Vieles ganz anders wahrnehmen. Da ein umfassender Vergleich den Rahmen sprengen würde, beschränke ich mich zunächst auf die Themen Universität, Verkehr und Öffentlicher Nahverkehr. Im folgenden zweiten Teil des Artikels gehe ich auf die Themen Sicherheit, Wetter, Essen und Gesundheitssystem ein.

Wichtig ist: Es geht nicht darum, diese Unterschiede zu bewerten. Vielmehr möchte ich dir meinen Eindruck vom Leben in Peru vermitteln, der sich natürlich ganz automatisch mit dem vergleicht, was man selbst kennt und wo man aufgewachsen ist – in meinem Fall eben Deutschland. Viel Spaß beim Lesen!

Das Wahrzeichen von Peru: Der berühmte Machupicchu.

  1. Universität

Da ich hier natürlich primär studiert habe, beginne ich einfach mal mit einem Vergleich der Mannheimer Universität mit der USIL, meiner Gastuniversität in Lima. Was ich vorwegnehmen kann: Die Unterschiede waren massiv. Dies fängt schon beim Bewertungssystem an. In Peru werden zwischen 0 und 20 Punkten vergeben und nicht wie in Deutschland die Noten 1,0 bis 5,0. Ab 11 Punkten besteht man einen Kurs in Peru. Allerdings gibt es keine einheitliche Umrechnung der peruanischen Punkte in das deutsche System, sondern sie unterscheidet sich zwischen den deutschen Universitäten.

Während es in Deutschland meistens nur eine Prüfungsleistung am Ende des Semesters gibt, entweder eine Klausur oder eine Hausarbeit, werden in Peru Leistungen während des gesamten Semesters erhoben. Auf mich hat das Ganze einen sehr schulischen Eindruck gemacht, denn es wurde unter anderem die Partizipation bewertet, die ein Viertel (!) der Gesamtnote ausmachte. Außerdem wurden insgesamt vier Tests geschrieben, von denen am Ende die schlechteste Note gestrichen wurde. Hinzu kommen zwei Prüfungsleistungen am Ende des Semesters, in meinem Fall waren das Präsentationen, Hausarbeiten und eine Abschlussklausur.

Der größte Unterschied zu meinem Studium in Deutschland war für mich jedoch, dass der Großteil der Abgaben und Prüfungsleistungen in Gruppen erarbeitet wurde und somit auch mit Gruppennoten bewertet wurden. So habe ich in beiden meinen Kursen die Hausarbeit mit drei Kommilitonen schreiben müssen. Auch wenn man dadurch in der Theorie womöglich Arbeit spart, hat mich die Abhängigkeit von meinen Gruppenmitgliedern unglaublich viele Nerven gekostet.

Auch das Niveau der Lehre unterscheidet sich sehr: Dies bezieht sich nicht nur auf die Anforderungen und Bewertung bei Prüfungsleistungen, sondern auch auf die Art und Weise, wie die Kurse gehalten werden. So war mein Kurs „La Política Internacional Latinoamericana“ ein reiner Geschichtskurs, der uns Schritt für Schritt durch die lateinamerikanische Geschichte geführt hat. Dieser Professor war tatsächlich, im Gegensatz zu vielen anderen, sehr anspruchsvoll. Allerdings war es letztendlich doch hauptsächlich reines Auswendiglernen und Reproduzieren, während das Anwenden kaum gefordert wurde. Während ich also beim Lernen auf Dinge wie Gesamteinordnung und Verknüpfungen zwischen einzelnen Themen geachtet habe, wurden in der Prüfung nur Detailfragen gestellt, die historische Ereignisse separat voneinander betrachtet und nicht in Bezug zueinander gesetzt haben.

Vorlesungen mit mehreren hundert Studierenden, wie ich sie aus Deutschland kenne, gab es in dieser Form in Peru nicht. Meine Kurse hatten maximal 12 Teilnehmer und waren dadurch interaktiver als deutsche Vorlesungen; sie waren eher eine Mischung aus Vorlesung und Seminar.

Auch wenn ich mich gerade etwas kritisch bezüglich der peruanischen universitären Lehre geäußert habe, konnte ich trotzdem sehr viel mitnehmen. Denn auch das deutsche Bildungssystem ist weit davon entfernt perfekt zu sein und schafft es beispielsweise, seine Internationalität auf die EU und die USA zu beschränken und ganze Kontinente wie Lateinamerika kategorisch zu ignorieren. Dadurch war die lateinamerikanische Perspektive auf viele Themen eine wertvolle Ergänzung zu meinem deutschen Studium, die meinen Blick auf Themen gelenkt hat, über deren Relevanz ich zuvor noch nie nachgedacht hatte. Außerdem konnte ich meine Spanischkenntnisse vor allem im akademischen Bereich verbessern, da ich mich bewusst dazu entschieden hatte, nur spanischsprachige Kurse zu belegen. Das war zwar gerade in der Klausurenphase sehr fordernd, aber in der Gesamtbilanz sehr nützlich für meinen Sprachfortschritt.

Außerdem, was für einige überraschend wirken mag: Hinsichtlich Digitalisierung sind peruanische (private) Universitäten mindestens gleich, wenn nicht sogar besser aufgestellt als die deutschen Unis. In jedem Saal gibt es zwei Bildschirme/Whiteboards, über welche eine Zoom Übertragung läuft. Denn: Es gibt sehr viele Hybrid-Kurse, bei denen man sich in bis zu 50% der Einheiten des Semesters online über Zoom einwählen kann. Die anderen 50% muss man persönlich anwesend sein. Das hat die ein oder anderen Reisepläne während des Semesters vereinfacht:). Außerdem gibt es auch Kurse, die ausschließlich online stattfinden. Das ist bei uns in Deutschland seit dem „Ende“ von Covid wieder eine Seltenheit geworden. Ich selbst bin kein großer Fan von Online-Veranstaltungen in der Uni und habe, immer wenn ich in Lima war, den zweistündigen Weg zur Uni von Miraflores nach La Molina auf mich genommen. Trotzdem ist es natürlich sehr vorteilhaft auf die digitale Infrastruktur in Fällen von Krankheit, Streiks oder anderen Situationen zurückgreifen zu können.

Ein Teil des Campus der USIL in Lima.

  1. Verkehr

Wo fange ich beim Thema Verkehr am besten an? Vielleicht mit: „Ich bin froh, dass ich noch lebe.“. Der Verkehr in Lima ist verrückt, um nicht zu sagen, die reinste Katastrophe. Es ist kein Geheimnis, dass Lima ein massives Verkehrsproblem hat. Nicht ohne Grund unterstützt der deutsche Staat Peru beim Ausbau beziehungsweise bei der Errichtung eines öffentliches Nahverkehrsnetzes. Und ja genau, die heiß diskutierten, kritisierten und polarisierenden Radwege in Peru gehören genau zu dieser Unterstützung dazu:).

Egal zu welcher Uhrzeit man in Lima von A nach B möchte: Man wird im Stau stehen. Wie lange man im Stau steht, das variiert natürlich je nach Tageszeit. Aus diesem Grund hat die peruanische Regierung während der APEC-Woche, als zahlreiche Regierungschefs und andere hochrangige Politiker in der Stadt waren, nicht nur den Schul- und Universitätsbetrieb auf Online-Unterricht umgestellt, sondern auch alle Bürger dazu angehalten, wenn möglich von zu Hause aus zu arbeiten. Ansonsten könne aufgrund des Verkehrs nämlich nicht die Sicherheit der Politiker gewährleistet werden.

Doch nicht nur das Verkehrsaufkommen stellt einen Kontrast zu Deutschland dar, sondern auch der Fahrstil der peruanischen Auto-, Bus- und Motorradfahrer. Sie sind vermutlich sogar die besseren Fahrer als die Menschen auf den deutschen Straßen – allerdings fahren sie in meinen (europäischen) Augen trotzdem wie Verrückte. Es wird grundsätzlich keine Rücksicht genommen. Besonders als Radfahrer und Fußgänger ist hier Vorsicht geboten. Denn: Zebrastreifen in Peru ist nicht gleich Zebrastreifen in Deutschland. Ich glaube, ich kann an einer Hand abzählen, wie oft ein Auto in den letzten fünf Monaten für mich an einem Zebrastreifen angehalten hat. Die Zebrastreifen scheinen eher ein Symbol für Fußgänger zu sein, das andeutet, wo sie tendenziell über die Straße gehen können – aber eben nur, wenn gerade kein Auto kommt.

In Miraflores, dem Stadtteil, in dem ich gewohnt habe, bin ich oft Fahrrad gefahren. Genau wie es zu Hause die VRN Next Bikes gibt, können hier die City Bikes Lima genutzt werden. Besonders gut und sicher fährt es sich am Malecón, also der Küste entlang. Dort gibt es einen gut ausgebauten, zweispurigen Radweg. Ansonsten ist Fahrradfahren in Lima, besonders außerhalb von Miraflores, nicht ganz ungefährlich. Es kommt sehr stark auf die genaue Route und vor allem die Tageszeit an. Einige Male musste ich aus Zeitgründen während der Rushhour auf das Fahrrad steigen – und war jedes Mal froh, unbeschadet an meinem Ziel angekommen zu sein.

Mit dem Fahrrad durch Miraflores

Das Problem: Dadurch, dass kein Auto für dich anhalten wird, musst du irgendwann einfach losfahren. Man muss seinen Fahrstil anpassen, sonst hat man keine Chance – das war zumindest meine Erfahrung. Um das etwas zusammenzufassen: Google Maps zeigt für ganz Lima keine einzige Fahrradroute an, sondern immer nur ein „–“ unter dem Fahrradsymbol. Ich denke, dem muss ich nichts mehr hinzufügen.

Ein weiterer Unterschied in Sachen Verkehr: die Benutzung der Hupe. Während man in Deutschland doppelt überlegt, ob der Gebrauch der Hupe gerade gerechtfertigt ist, wird in Lima die Hupe alle paar Sekunden verwendet, um sich anzukündigen, wenn man beispielsweise an einem anderen Fahrzeug vorbeifährt. Bei den vollen Straßen in Lima resultiert das in einem Dauergehupe. Das bleibt allerdings nicht ohne Folgen, denn die Autoalarmanlagen der Fahrzeuge sind alle sehr lärmsensibel. Daher gehen in regelmäßigen Abständen auch die Alarmanlagen der parkenden Autos an, die das Hupkonzert noch um eine weitere Klangfarbe ergänzen. Außerdem haben nicht nur die Feuerwehr, Polizei und Rettungswagen Sirenen an den Fahrzeugen, sondern gefühlt jedes vierte Fahrzeug. Ich glaube, du hast mittlerweile eine grobe Vorstellung vom Geräuschpegel und der Verkehrssituation in Lima bekommen – deshalb gehe ich an dieser Stelle nicht weiter in die Tiefe.

  1. Öffentlicher Nahverkehr

Ich habe es eben schonmal kurz angedeutet, aber lass mich nochmal genauer auf den ÖPNV in Lima eingehen. Während wir aus Deutschland Bus, Straßenbahn, Zug und in manchen Städten Metro kennen, ist in Lima das Angebot auf die Busse beschränkt. Eine einzige überirdische Metrolinie gibt es, aber eben auch nur eine – in einer 10 Millionen Metropole… Ich glaube, das erklärt gut, weshalb der Verkehr in Lima eine solche Katastrophe ist. Für Busse gibt es bestimmte Haltestellen, aber man kann meistens auch beliebig ein- und aussteigen. Man ruft einfach "baja, baja" und der Busfahrer lässt einen raus. Genauso auch beim Einsteigen: Meistens gibt es neben dem Busfahrer noch eine weitere Person, die sowohl das Geld der Fahrgäste einsammelt als auch ohne Unterbrechung die Buslinie bzw. deren Destination aus der Türe hinaus durch die Straßen brüllt.

Nachtbus in Peru

Möchte man einsteigen, zeigt man das mit einem kurzen Handzeichen an, der Bus macht langsam, hält oft gar nicht vollständig an, man hört ein hektisches "sube, sube, sube", was bedeutet, dass man so schnell wie möglich einsteigen soll, und man steigt ein. Ich muss sagen, dieses System ist zumindest aus Sicht der Fahrgäste relativ praktisch. Inwiefern das für den Verkehrsfluss förderlich ist, ist eine andere Frage.

Dementsprechend gibt es auch keine klaren Fahrpläne, sondern man geht einfach zu der nächsten Haltstelle oder Straße, an der die gewünschte Buslinie vorbeifährt, und wartet, bis der nächste Bus kommt. Das ist, zumindest bei der Strecke zu meiner Uni, mit deutlich kürzeren Wartezeiten verbunden, als es vermutlich in Deutschland der Fall wäre. Nur selten habe ich länger als drei Minuten gewartet.

Bei den Bussen an sich ziehe ich dann aber doch auf jeden Fall die deutschen Modelle vor. Ich formuliere es mal so: Die Abstände zwischen den Sitzreihen sind an die Durchschnittsgröße der Peruaner angepasst und während deutsche Männer im Schnitt 1.80m groß sind, sind es bei Peruanern eben nur 1.66m. Anders ausgedrückt bedeutet dies: Beinfreiheit = Fehlanzeige. Außerdem sind die Fenster im Bus eigentlich immer offen und so mischen sich das Geklappere des Busses und der Verkehrslärm zu einer nicht ganz angenehmen Geräuschskulisse.

Ein weiterer Unterschied ist, dass es zumindest bei den Bussen, die nicht zur „Metropolitana“-Linie gehören, nur Einzeltickets und keine Monats- oder Jahrestarife gibt. So zahlt man jedes Mal im Bus, wenn das Geld eingesammelt wird. Von Miraflores bis La Molina, dem Stadtteil meiner Uni, habe ich pro Weg 3 Soles gezahlt, was etwa 75 Cent entspricht.

Ganz andere Busse erwarten einen, wenn man eine „Langstrecke“ zurücklegt, wie zum Beispiel nach Huaraz oder Arequipa und ein entsprechendes Ticket kauft. Ich wünschte, ich wäre in einem dieser Busse nach Spanien gefahren und nicht in den Flixbussen, die unabhängig von der Länge der Strecke immer das gleiche Modell nutzen. In Peru sind die Sitze deutlich breiter, man hat genug Abstand zur Person neben einem, die Sitzlehnen lassen sich je nach Ticket um 140 oder 160 Grad neigen und man bekommt teileweise sogar eine Decke auf den Sitz gelegt. Es gleich schon fast einem Bett. Und das alles für nicht viel Geld. An dieser Stelle könnte sich Deutschland ein Vorbild an Peru nehmen.

Busfahren in Lima

Im Colectivo in der Region Cusco

Ein Verkehrsmittel, welches wir nicht aus Deutschland kennen, ist das Colectivo. Meistens handelt es sich hierbei um Minivans, die dann abfahren, wenn alle Plätze belegt sind. Dadurch gibt es keine festen Abfahrtszeiten und man muss etwas Geduld und Spontanität mitbringen. Die Colectivos werden in ländlicheren Regionen für Strecken zwischen kleineren Ortschaften aber auch in großen Städten als Ergänzung zu den Bussen genutzt. Es ist üblich, dass größeres Gepäck auf dem Dach transportiert wird, sodass möglichst viele Fahrgäste in den Van passen.

Hier geht es zur Fortsetzung dieses Artikels, in der ich mich den Themen Sicherheit, Gesundheitssystem, Wetter und Essen widme: